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Archiv-Artikel

Zerrissene Hüllen

„Mein Letzter Film“: In Oliver Hirschbiegels Kino- Kammerspiel brilliert Hannelore Elsner als Solistin

Gegen Ende zoomt er doch und wagt die Totale: Der Voyeurismus hat gesiegt

Eine in die Jahre gekommene Schönheit, ein schüchtern-verstörter junger Mann. Hastig an der Zigarette saugend schiebt sie ihm mit zitternden Händen ein Bündel Geldscheine zu. Das wirkt, als täte sie etwas Verbotenes, Verruchtes. „Das Geschäftliche zuerst.“

Zielstrebig kämpft sie sich durch den lärmenden Großstadtverkehr in ihr Domizil, ihr heimatliches Nest. Der Junge tappt irritiert hinterdrein. Werden wir Zeuge einer „pornographischen Beziehung“? Ja und nein.

„Jetzt ist, wenn es weht tut“, sagt Marie, dargestellt von Hannelore Elsner. Marie ist Schauspielerin. Was ihr Satz bedeutet? Gemeint sind die Schonungslosigkeit der Gegenwart, die endgültige Zerstörung von Masken und Hüllen. Die haben sie ein Leben lang geprägt. „Das ist mein letzter Film“, sagt Marie.

Tatsächlich wird gedreht. Was Marie inszeniert, das ist eine gnadenlose Abrechnung mit ihrem bisherigen Dasein, mit ihrem Ex-Mann, der gleichzeitig ihr Mentor und Förderer war, mit Liebhabern und mit ihrer besten Freundin. Und gleichzeitig mit sich selbst. Der junge Mann muss das alles festhalten, als eine Art Testament auf einem 90-minütigen Videoband.

Der junge Mann (Wanja Mues) – vielleicht ist er ein Filmstudent, möglicherweise auch ein Kameraassistent – wird unverhofft mit einer Wucht ungeschminkter Emotionen konfrontiert.

Die Bilder (Kameraführung: Rainer Klausmann) verwackeln. Allmählich nur traut sich der Junge an Marie, die große Filmdiva, heran zu zoomen, die Totale aufzunehmen. Gegen Ende siegt bei Zuschauer wie Kameramann der süchtig machende Voyerismus.

Hannelore Elsner bietet in Hirschbiegels bravourösem Kammerspiel, das an die gefühlvolle Eindringlichkeit französischer Filme erinnert, ihr gesamtes Können auf. Ihr Gesicht spiegelt all die Furchen, Falten, Narben wider, die ihre Geschichte an ihr hinterließ. Die Entblößung der Marie mitten in die Kamera hinein – das hat durchaus schon einen Hauch von Obszönität.

Fast zynisch spielt sie manchmal mit angelernten Gesten und Phrasen, um gleich danach wieder die wahre, bittersüße Marie dahinter aufblitzen zu lassen. Das ist kein Scheitern, das bedeutet Aufbruch.

Die oftmals literarische Sprache, die Drehbuchautor Bodo Kirchoff ihr vorschreibt, kombiniert Hannelore Elsner mit einer lebendigen, anrührenden Darstellungskraft. Ein geniales Machwerk, das sich angenehm vom gewohnten deutschen Film abhebt.

Daniela Barth

ab heute im Cinema, Ostertorsteinweg