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Archiv-Artikel

Der Rahmen schwankt

Tarifliche Mehrkosten von 900.000 Euro bedrohen das Bremer Theater. Generalintendant Klaus Pierwoß könnte sich schon heute für einen Wechsel nach Kassel entscheiden

Klaus Pierwoß, Generalintendant des Bremer Goetheplatz-Theaters wird möglicherweise ans Staatstheater Kassel wechseln. Hintergrund ist der bislang ungelöste Konflikt um die Übernahme der Tarifsteigerungen am Bremer Theater. Nach Angaben von Verwaltungsdirektor Lutz-Uwe Dünnwald handelt es sich um insgesamt rund 900.000 Euro, die das Vier-Sparten-Haus ab 2004 zusätzlich aufbringen müsste.

„Dieser Betrag ist nicht einsparbar“, stellt Dünnwald klar. Nach seinen Berechnungen müssten jährlich 10 bis 15 MitarbeiterInnen entlassen werden, wenn den Tarifsteigerungen nicht – wie in anderen Bereichen des öffentlichen Dienstes – durch den Haushaltgeber entsprochen würde. „Selbst die Schließung einer Sparte wie das Tanztheaters würde das Defizit keine zwei Jahre ausgleichen. Wir müssten das Theater in der bisherigen Form dicht machen.“

Bis zum Ende der kommenden Spielzeit ist das Haus von den Tarifsteigerungen verschont: Das hatte Pierwoß zur Bedingung seines mit der damaligen Kultursenatorin Bringfriede Kahrs ausgehandelten Vertrages gemacht. Das brachte ihm bundesweite Beachtung – zumal die anderen Bremer Kultureinrichtungen die Tarifsteigerungen nicht hatten abwehren können. Doch mit Kahrs Nachnachfolger Kuno Böse scheint die Einigung über die anstehende Vertragsverlängerung schwierig. Die Verhandlungen zögen sich schon seit vergangenem Sommer auf „sehr ätzende und klebrige Weise“ hin, sagt Pierwoß.

Anderswo kommen die Dinge offenbar schneller voran: Bereits heute tagt in Kassel – das sich ebenfalls um den Titel „Kulturhauptstadt Europas“ 2010 bewirbt – die Findungs-Kommission, die Pierwoß zum Nachfolgekandidaten für Christoph Nix küren könnte. Bis zum 2. Februar soll die Entscheidung fallen – und Pierwoß beteuert: „Wenn ich mich meinerseits für die Kandidatur entscheide, meine ich das wirklich ernst. Das ist kein Hebel für Bremen.“ Er würde die Stadt „ungern“ verlassen, aber: „Ich kann nicht in permanentem Kleinkrieg mit dem Theaterträger Theater machen.“

Um Bremen herum sind die großen Theater etwas weniger in der Bredouille: Das Bremerhavener Stadttheater (Gesamthaushalt: 12,6 Millionen Euro) ist im Gegensatz zur GmbH des Bremer Theaters immer noch ein unmittelbar städtischer Betrieb. Die Übernahme der Tarifsteigerungskosten durch den städtischen Haushalt steht deswegen nicht in Frage. Und das Oldenburger Staatstheater (Gesamthaushalt: 19,2 Millionen Euro) muss zwar mit Mehrkosten von etwa 170.000 Euro rechnen. Bisher wurden dessen Tarifsteigerungen jedoch über Nachschlagszahlungen aus dem niedersächsischen Kulturministrium gedeckt.

Das Goetheplatz-Theater gilt im Bundesdurchschnitt als unterfinanziert. Schon eine deutlich kleinere Stadt wie etwa Mainz zahlt mit 24 Millionen Euro fast dieselbe Summe für sein Theater wie Bremen (25,9 Millionen). Vor diesem Hintergrund betont Pierwoß: „Nicht gewährte Tarifsteigerungen sind faktisch Kürzungen des ohnehin relativ geringen Etats.“

Im Falle seines Weggangs sei zu befürchten, dass dann „ein sehr viel pflegeleichterer Nachfolger“ eingesetzt würde. Pierwoß engagiert sich nicht nur für sein Haus, sondern ist über die Kulturinitiative „Anstoß“ auch einer der wichtigsten kulturpolitischen Akteure der Stadt.

Unterdessen werden Kultursenator und Bürgermeister mit offenen Briefen des Theaterpersonals und anderer Kulturschaffender überschüttet. In einem Schreiben des Schauspiel-ensembles heißt es: „Mit geringsten finanziellen Mitteln wird ein künstlerisches Niveau gehalten, das seinesgleichen sucht. Weil Herr Pierwoß die Rahmenbedingungen dafür schafft, arbeiten wir hier.“

Henning Bleyl