: Vielleicht der Gary-Cooper-Typ
Um Terror zu zeigen, ist Action nicht nötig: John Malkovichs beeindruckendes Regiedebüt „Der Obrist und die Tänzerin“ führt in ein südamerikanisches Land ohne Namen, zu einem Polizisten, der gegen die Guerilleros des Leuchtenden Pfads ermittelt
von JAN DISTELMEYER
Unser eigener Vorfilm beginnt mit einem Gedankenspiel. Wie geht das zusammen: John Malkovich und der Sendero Luminoso? Der Hollywoodstar und Perus maoistische Guerilla-Organisation, die 1980 als Leuchtender Pfad den bewaffneten Kampf ebenso brutal wie strategisch geschickt aufnahm und deren geheimnisvoller, über Jahre unsichtbarer Anführer Abimael Guzman erst 1992 von dem Polizisten Antonio Ketin Vidal in Lima entdeckt und verhaftet wurde?
John Malkovichs Regiedebüt basiert auf Nicholas Shakespeares Roman „Der Obrist und die Tänzerin“; dieser wiederum entstand auf der Grundlage von Shakespeares Reportagen aus Peru und seiner langjährigen Suche nach Guzman. Film und Buch erzählen von den letzten Schritten der Polizeijagd auf das abwesend schillernde Revolutionsphantom zwischen Philosophie und Terror: eine über allem schwebende Nebenrolle, wie geschaffen für profilsüchtige Schauspieler. Guzman, der über Kant promovierte und bis 1976 an der Universität in Ayacucho als Philosophieprofessor lehrte, hatte den Sendero einst als eine „ethnische, kulturelle Bewegung“ hin zu einem Peru als „indianische Republik“ erklärt.
Reichlich Versuchungen also für Eitelkeit, Genre-Konvention, Revolutionskitsch oder – nach dem 11. September besonders nahe liegend – die Reduktion des Sendero-Luminoso-Terrorismus auf sinnlose Barbarei. Wird Malkovich, die Idealbesetzung für maliziöse Doppelbödigkeit, den gejagten Revolutionsführer, der hier Ezequiel heißt, selbst übernehmen? Wird die Filmfigur des Polizisten Vidal, Agustin Rejas (Javier Bardem), mehr sein als eine intellektuelle Variante des Antiterror-Feuerwehrmanns Arnold Schwarzenegger aus „Collateral Damage“? Wird die Beziehung zwischen dem Familienvater Rejas und der mit dem Sendero verbundenen Tanzlehrerin Yolanda (Laura Morante) die typische amour fou, für die im Zweifelsfall die femme fatale ins Gras beißen muss? Kurz: Wie kann Malkovichs „Der Obrist und die Tänzerin“ den Fallstricken entgehen, die rund um das Projekt gespannt sind?
Wenn ein einziger Begriff diese Frage beantworten müsste, dann hieße er Konzentration. Bis auf einen einzigen US-amerikanischen (Neben-)Darsteller stammen alle Schauspieler aus dem romanischen Sprachraum. John Malkovich bleibt hinter der Kamera, verlegt sich ausschließlich auf die Regie und überlässt Nicholas Shakespeare die Drehbuchadaption seiner Vorlage. Der Politthriller selbst ist um einen Mittelpunkt organisiert, den eine einzige Figur, genauer gesagt: ein Gesicht bildet.
Javier Bardem trägt diesen Film bis zur letzten Sequenz. Dort wird die Kamera immer näher an ihn herankommen, um in seinen Zügen noch einmal die Geschichte abzulesen, die von Schmerz, Verantwortung, Ohnmacht, Wut und Entschlossenheit erzählt. Wie Lino Ventura oder der junge Alain Delon – allerdings wärmer und mit der Ausstrahlung einer Liebe, die eben nicht einzig zu sich selbst führt – braucht Bardem dafür keine Gesten oder Worte. Seine Präsenz füllt den Raum: Bardems Polizist Vidal wird uns zum (noch) ungebrochenen Spiegel, durch den wir die Widersprüche, Konflikte, Hoffnungen und Ängste eines Landes erkennen, das nicht Peru heißt und sich doch dahinter verbirgt.
„Ich war früher Anwalt, also hab ich meine Erfahrungen mit Korruption“, stellt Rejas sich und den Justizapparat seines Landes vor, von dem er zum Leiter einer Sonderkommission bestimmt wird. Er soll den Guerillaführer Präsident Ezequiel fassen, bevor die Häufung der Anschläge zu einer erneuten Machtübernahme des Militärs führen wird. Die Gegner der Staatsgewalt sind Autobomben, Morde, organisierte Stromausfälle und Indiokinder, die in Kamikaze-Akten öffentliche Räume in die Luft sprengen. Rejas selbst hatte Kaffeefarmer werden wollen, bevor die Militärs die Farm seiner Familie beschlagnahmten.
Seine Suche nach Ezequiel bedeutet somit ein ständiges Gewahrwerden von Unrecht, Gewalt und Korruption im Staate, dem andererseits die Kette der Guerilla-Morde entgegensteht. Hier gebiert sich eine Gewalt beständig selbst aufs Neue, deren Teufelskreis den Tonfall der Filmerzählung prägt. Malkovichs Inszenierung lässt jede Chance aus, die Action des Terrors zugunsten höheren Tempos, packender Dramatik oder pittoresk mahnender Explosionen zu nutzen. Nicht selten bekommen wir Bluttaten erst in ihren Folgen, als Reaktion auf Vorangegangenes zu sehen. Der ruhige, beinahe schon resignative Rhythmus zeigt Gewalt so als einen Alltag der Reaktion, den niemand ertragen kann.
In diesem Spannungsfeld ist Rejas die einzige Konstante. Diese Behauptung eines durchgehend unbestechlichen Helden, der sowohl den Rechtsstaat eher erschaffen als durchsetzen will als auch Sympathien gegenüber den Revolutionären zeigt, wäre vielleicht der beste Ansatzpunkt einer Kritik. Rejas bleibt ausnahmslos integer; selbst als er sich in Yolanda, die Tanzlehrerin seiner Tochter, verliebt, die ihn schließlich auf die Spur von Präsident Ezequiel führt. Zugleich wird er darüber auch zu einem offensichtlichen Fremdkörper, der jenseits aller Attribute bestätigten Heldentums die Zerrissenheit des Landes personifiziert. „Haben Sie Verständnis dafür, oder sind Sie bloß der Gary-Cooper-Typ?“, wird der Polizeichef Rejas fragen. „Ja, ich habe Verständnis, aber vielleicht bin ich der Gary-Cooper-Typ.“
Indem dieser Held immer nur reagieren kann und mehr ein unglücklicher Verwalter des Unrechts auf allen Seiten ist, unterstützt er das Gefühl der Nachträglichkeit, das auf jeder Bewegung dieses Films lastet. Auch die Verhaftung Ezequiels kann in dieser Logik kein Neuanfang sein. Sie ist nicht mehr als ein weiterer Moment, der uns etwas über das Davor erzählt.
„Der Obrist und die Tänzerin“. Regie: John Malkovich. Mit Javier Bardem, Laura Morante, Juan Diego Botto u. a. Spanien/USA 2001, 124 Min.