: „Wir sind das Fußvolk“
Die Filmemacherin Susan Gluth hat eine Doku über die Working Poor gedreht. Ihre Protagonistinnen fand sie direkt vor der Haustür – in der elterlichen Wäscherei im Hamburger Elbvorort Groß-Flottbek. Am Samstag ist beim Filmfest Hamburg Premiere
Beim Stichwort „Filmfest Hamburg“ winken Cineasten gerne ab. „Lief alles schon auf anderen Festivals“, sagen sie, oder: „Promis der B-Kategorie“. Das Filmfest in Hamburg ist nicht die Berlinale und auch nicht Cannes. Trotzdem gibt es für den gewöhnlichen Filmegucker, der sich nicht auf Festivals herumtreibt, genug zu sehen, was noch nicht in den Kinos war. 134 Filme laufen bei der diesjährigen Ausgabe des Festivals, die am Donnerstag im Cinemaxx am Dammtor eröffnet wurde. Der Preis des Festivals, der Douglas-Sirk-Preis, geht dieses Jahr immerhin an den kanadischen Autorenfilmer Atom Egoyan. Die Laudatio hält Wim Wenders. Wenn das keine Filmprominenz ist! WIE
VON DANIEL WIESE
Die Wäscherei Utecht liegt versteckt in einer Seitenstraße, in der keine Villen stehen wie in den Straßen außenrum. Dafür ist die Einfahrt zum Hintereingang direkt von der Hauptstraße erreichbar: Hier wird die Wäsche angeliefert, in großen Säcken, die dann vielleicht bei Monika landen, wenn die gerade da ist. „Ich helf’ aus, wenn Not am Mann ist“, sagt Monika, die ihre langen, fast weißen Haare mädchenhaft trägt, manchmal hat sie eine Spange drin. Der Film soll schön geworden sein, das hat sie gehört, „auch mit dem Hund“.
Monikas Hund heißt Bonnie und sitzt unter der Trommel, in der Monika die Wäsche sortiert. Bonnie ist sehr klein, genau wie Monika, und sehr alt. Gleich in der ersten Szene des Films tritt Bonnie auf, zuerst hört man nur Monikas Stimme, die den Hund ruft, dann treten beide heraus aus dem Schatten der S-Bahn-Station Veddel, sie sind auf dem Weg zur Arbeit. Es ist ein langer Weg, erst Bus, dann S-Bahn. Monika wohnt in Wilhelmsburg und nicht im feinen Groß-Flottbek, wo die Wäscherei ihre Kunden hat. Daher die lange Fahrt, die auch eine Fahrt vom armen ins reiche Hamburg ist.
Mit „Wasser und Seife“ hat die Filmemacherin Susan Gluth eine Doku über die Working Poor gedreht. 150 Euro bleiben Monika, wenn sie die laufenden Kosten abzieht. 150 Euro im Monat. Im Film rechnet sie die Centbeträge vor, die sie sich leistet, weil sie Kartoffeln kauft, die keine Erde mehr dran haben, daraus kocht sie dann Eintopf, in ihrer engen Wohnung in Wilhelmsburg. „Fleisch eher nicht“, sagt sie, ohne Begründung. Fleisch bekommt ihr Hund Bonnie, wenn er Geburtstag hat, Schweinebraten.
Mit Bonnie spricht Monika viel, auch im Film, ganze Reden richtet sie an den kleinen Terrier. Früher hatte Monika Kinder, vier. „Dann bin ich abgehauen“, sagt sie ungefähr in der Mitte des Films. Sie floh, „weil er gesoffen hat“ – „er“ ist der Vater. „Mein Fehler war, dass ich die Kinder nicht mitgenommen habe“, sagt sie, und das ist vielleicht die Stelle des Film, an der sie am meisten von sich preisgibt.
Es ist nicht so, dass Monika oder die beiden anderen Arbeiterinnen in der Wäscherei, die in dem Film die Hauptrollen spielen, jammern würden. Nein, sie träumen vom Geld, sie füllen Lottoscheine aus, aber dass dies Träume bleiben, gehört zu ihrem Leben. Es ist ein Leben zwischen der Wäscherei, in der Maschinen zischen, und den kleinen Fluchten, in denen sie sich eingerichtet haben. Monika führt ihren Hund aus, sie gönnt sich einen Becher Kaffee an der S-Bahn-Station. In ihren Blumenkästen wachsen plötzlich Sonnenblumen, aus den Körnern des Vogelfutters, und als sie das sieht, leuchtet Monikas Gesicht.
An der Wand ihres Apartments hängen Teller, einer aus jeder Stadt, in der sie war. „Das sind so Busfahrten, morgens hin, abends zurück, mehr kann man sich ja nicht leisten.“
„Wasser und Seife“ ist nicht der erste Film von Susan Gluth. Ihr letzter davor war „Shadows of Fate“, eine Doku über zwei Flüchtlingsmädchen aus Darfur, ebenfalls nicht gerade ein heiteres Thema. „Ich zeige, was ist“, sagt Gluth, auch in ihrem neuesten Film wolle sie nicht werten, sondern einfach hinsehen. Und Gluth sieht hin, in langsamen Einstellungen zoomt sie sich an ihre Protagonistinnen heran, lässt ihnen Zeit, ihre Geschichte zu erzählen. Sie hört ihnen auch zu, wenn sie versuchen, sich ihre Lage schön zu reden – doch alle kommen sie früher oder später an den Punkt, an dem sie darüber sprechen, warum ihr Leben ist, wie es ist. „Wir sind das Fußvolk“, sagt der Mann von Tanja-Alexandra, deren Mutter 40 Jahre in der Wäscherei gearbeitet hat. Bei Tanja-Alexandra selbst sind es nun auch schon 27. Sie will bleiben, „wenn die Gesundheit mitmacht und der Betrieb Bestand hat“, sagt sie, während der Film sie im Bus sitzend zeigt, wie sie von Groß-Flottbek ins benachbarte Osdorf fährt, wo sie hingezogen ist, weil ihre Eltern da wohnten und ihre Schwester auch. Der Mann von Tanja-Alexandra ist Konditor und verdient mehr als sie, aber „ich würde auch für weniger Geld arbeiten“, sagt er.
Tanja-Alexandra hat eine Frisur wie Tina Turner, sie schminkt sich die Augen schwarz und verwendet viel Zeit auf ihre Fingernägel, die in der Wäscherei kaputt gehen. Die Hoffnungen ruhen auf der Tochter der Schwester, die das einzige Kind in der Familie ist. Im Film sieht man, wie sie in die Wäscherei kommt, weil sie wieder durch die Führerscheinprüfung gefallen ist. Ihr Traum, erzählt sie, sei eine Lehrstelle bei Lidl, „da kann ich nach Griechenland gehen“.
Inzwischen, sagt Susan Gluth, arbeite das Mädchen bei Lidl als Kassiererin, ohne Lehrstelle. Gluth kennt ihre Protagonistinnen seit langem. Die Wäscherei, in der sie arbeiten, gehört ihren Eltern, sie selbst half dort in den Ferien aus. Dem Film merkt man das nicht an, ihr Stiefvater, der alte Chef, taucht nur gelegentlich auf und wirkt eher verzweifelt in dem Chaos zwischen Kunden und streikenden Maschinen, aus denen das Wasser tropft. Er würde gerne mehr bezahlen, sagt er, aber die Preise seien nun mal, wie sie sind.
Schuld an der Misere ist keiner, nicht die Arbeiterinnen, nicht der Chef. Als ungelernte Kraft kann man nicht viel vom Leben erwarten, das zeigt der Film, der auch im ZDF laufen soll, in der Reihe „Das kleine Fernsehspiel“. Am Ende sieht man Monika, wie sie mit Bonnie durch den Alten Elbtunnel geht, eine kleine Frau mit einem kleinen Hund. Ihr Leben, sagt Monika, sei doch gar nicht so schlecht, sie habe schön ihre Ruhe.
Doch es ist eine andere Szene, die im Gedächtnis bleibt. Sie zeigt Monika mit Bonnie, wie sie in ein Hundegeschäft gehen will, aber dort kommt ein großer Hund heraus, viel größer als Bonnie. Monika nimmt Bonnie auf den Arm, weicht einen Schritt zurück. Und wartet.
„Wasser und Seife“: Premiere beim Filmfest Hamburg am Samstag, 19.15 Uhr, Cinemaxx am Dammtor, Kino 8. Wiederholung: 2. Oktober, 21.30 Uhr, Cinemaxx, Kino 2