piwik no script img

Archiv-Artikel

Die Insel der wahnsinnigen Rinder

Auf der Ostseehalbinsel Riems werden 56 gesunde Kälber mit BSE infiziert und nach und nach geschlachtet. Forscher wollenso den bislang rätselhaften Weg der Erreger nachvollziehen und dem tödlichen Rinderwahnsinn auf die Schliche kommen

von HANNA GERSMANN

Das größte BSE-Experiment Europas haben die Wissenschaftler der Bundesforschungsanstalt für Viruskrankheiten der Tiere seit Monaten vorbereitet. Sie haben einen der sichersten Ställe Deutschlands gebaut, 5,7 Kilo Rinderhirn, das mit BSE infiziert ist, bei Kollegen in Großbritannien geordert, dann wurden 56 Kälber von einem vorpommerschen Biohof geholt. Nächste Woche soll nun jedes Kalb genau 100 Gramm des BSE-Hirns schlucken. Fünf Jahre werden die Forscher die Tiere beobachten und Rückschlüsse ziehen, wie sich der tödliche Erreger im Körper ausbreitet. Ort des Geschehens: die abgeschiedene Ostseehalbinsel Riems nahe Greifswald.

Die Deutschen essen derweil wieder Rumpsteak und Rinderhack, als hätte es BSE, die bovine spongiforme Enzephalopathie, nie gegeben. Dabei gibt es keine Entwarnung. Denn seit dem ersten BSE-Fall vor zwei Jahren wurden 238 Fälle nachgewiesen. Der letzte vor gut einem Monat in Brandenburg.

Die Wissenschaftler rätseln noch immer, warum Rinder plötzlich torkeln, panisch reagieren. Klar ist nur: Der Erreger, Prion genannt, ist ein abnormaler Eiweißstoff. Wahrscheinlich lauert er im Futtertrog, Tiere nehmen ihn mit dem Tiermehl oder dem so genannten Milchaustauscher auf. Diese künstliche, sehr preiswerte Milch bekommen Kälber häufig statt Kuhmilch. Doch wie die Prionen aus dem Magen ins Gehirn kommen, ist völlig offen. Was passiert in den fünf Jahren, die vermutlich zwischen Infektion und Ausbruch liegen? Wo lässt sich in der Zeit der Erreger im Körper nachweisen? Im Kot, der dann auf der Weide landet? Oder in der Milch, die Menschen trinken? Um solche Fragen beantworten zu können, werden die Riems-Forscher alle vier Monate 4 der 56 Kälber töten und untersuchen.

Denn: Kennen sie erst einmal den Weg des Erregers, so hoffen die Wissenschaftler, könnten sie künftig den Ausbruch des Rinderwahns verhindern. Kranke Rinder könnten womöglich erkannt werden, bevor die Symptome auftreten und das Gehirn löchrig wie ein Schwamm ist.

Noch gibt es keinen Test, mit dem der BSE-Erreger im Blut oder Harn eines lebenden Tieres festgestellt werden kann. Noch wird eine ganze Herde getötet, wenn nur ein BSE-Fall im Stall auftritt. Für diese drastischen Maßnahmen reicht das Argument, dass möglicherweise auch der Mensch gefährdet ist. Wissenschaftler halten es für möglich, dass BSE beim Menschen eine rätselhafte Variante der Creutzfeldt-Jakob-Krankheit auslösen kann. In Deutschland ist bisher allerdings noch kein solcher Fall bekannt.

Von der Forscherinsel Riems können die Erreger kaum entkommen. Der Stall auf dem abgelegenen Eiland gleicht einem Hochsicherheitstrakt. Wer ihn betritt, muss sich auspellen und dann einen Schutzanzug anziehen. Und die Gülle – 5.000 Liter pro Tag – wird erhitzt, die Raumluft gefiltert, bevor sie nach draußen gelangt. Riems, wo Friedrich Loeffler, der Entdecker der Maul- und Klauenseuche, vor gut 90 Jahren seine Laboratorien errichtete, steht unter Quarantäne.