: berliner szenen Katze klauen
Kampf der Neurose
Wenn man Kinder hat, lernt man komische Leute kennen. Krabbelgruppenbekanntschaften und so. Neulich verschlug es uns zu einer Frau mit Sohn. Unsere Söhne spielten zusammen, meine Tochter und ich langweilten uns. Dann entdeckten wir die Katze im Garten. Sie war angeleint. Die Leine führte zu einer Art Oberleitung, die ein paar Meter in den Garten hineinführte. Unterhalb der Oberleitung konnte die Katze einen halben Meter nach links und nach rechts gehen. Wir fragten vorsichtig, warum die Katze auf diese Art gehalten wurde.
„Wenn sie nicht angeleint wäre, könnte sie bis zur Hecke laufen. Da könnte ihr eine Zecke ins Fell fallen.“ Ah ja. „Außerdem könnte sie andere Katzen treffen, und die haben vielleicht Krankheiten.“ Ah ja. „Und sie könnte sich mit anderen Katzen raufen. Das ist zu gefährlich.“ Alles klar. Meine Tochter betrachtete jetzt verbissen die Katze, ich auch. Hinter uns hörten wir die fremde Mutter. „Vorsicht. Steig nicht auf den Wagen, du könntest runterfallen. Komm vom Sessel runter. Auf dem Sessel turnt man nicht, da sitzt man.“
Draußen brauchte meine Tochter gar nichts zu sagen. Sie ist schon so groß, dass sie über eine Hecke steigen kann. Sie hat auch keine Angst, dass ihr Zecken auf den Kopf fallen. Und sie ist sehr geschickt im Lösen von Leinen, auch im Dunkeln. Wir konnten aber nicht bis zur Dunkelheit warten. Diese Frau ließ ihre Katze bestimmt nicht nachts allein im gefährlichen Garten. Ich habe an der Haustür geklingelt, um sie abzulenken. Angeblich hatte mein Sohn etwas im Spielzimmer vergessen. Die Zeit hat jedenfalls gereicht. Wir haben jetzt eine Katze. Sie sieht ein bisschen verstört aus. Und sie läuft im Flur immer auf zwei Metern hin und her. Aber ich denke, das gibt sich.
ANNETTE SCHWARZ