: Im öffentlichen Dienst beginnen ernste Zeiten
Nachdem Berlin die öffentlichen Arbeitgeberverbände verlassen hat, beginnen heute die Tarifverhandlungen für den öffentlichen Dienst zwischen Senat und Gewerkschaften. Die Positionen liegen noch meilenweit auseinander
Im öffentlichen Dienst wird es ab heute ernst. Nach einem rund halbjährigen Vorgeplänkel mit den Gesprächen über einen so genannten Solidarpakt starten die Tarifverhandlungen zwischen Senat und Gewerkschaften. Betroffen: rund 70.000 Arbeiter und Angestellte im unmittelbaren Landesdienst sowie die Beschäftigten der Unis. Davon nicht berührt sind die BVG-, BSR- und Vivantes-Mitarbeiter. Nachdem Berlin aus den öffentlichen Arbeitgeberverbänden ausgestiegen ist, können die Positionen zwischen dem rot-roten Senat und den Gewerkschaften kaum weiter auseinander liegen. Die Gewerkschaften forden die Übernahme des bundesweit geltenden Tarifvertrages mit einer Einkommenserhöhung von zunächst 2,4 Prozent in diesem Jahr; der Senat besteht auf null Prozent minus x.
Dennoch dürften beide Seiten an einer Einigung interessiert sein: Der Senat will schließlich im öffentlichen Dienst 500 Millionen Euro jährlich einsparen; den Gewerkschaften liegt nicht nur eine Erhöhung der Bezüge am Herzen, sondern auch eine Verlängerung der Beschäftigungssicherungsgarantie. Die bisherige Regelung dazu läuft Ende 2004 aus.
Die Crux für beide Seiten liegt im Tarifvertragsgesetz: Der alte Tarifvertrag gilt danach so lange weiter, bis er durch eine neue Regelung ersetzt wird. Von einer Weitergeltung haben aber beide Seiten wenig: In diesem Falle müsste der Senat zwar keine Lohnerhöhungen zahlen, könnte aber auch nicht die anvisierten Kürzungen beim Weihnachts- und Urlaubsgeld durchsetzen. Die Gewerkschaften würden zwar um harte Einschnitte herumkommen, stünden aber ohne Lohnerhöhungen da und müssten im übernächsten Jahr betriebsbedingte Kündigungen ins Auge fassen. Zwar ist Letzteres ein Tabu im öffentlichen Dienst Deutschlands, aber dem rot-roten Senat ist in seiner Haushaltsnot einiges zuzutrauen – wie der Ausstieg aus den Arbeitgeberverbänden gezeigt hat.
Wie eine Einigung aussehen könnte, bei der beide Seiten ihr Gesicht wahren, ist noch völlig unklar. Möglich wäre, zwar nominal eine Gehaltserhöhung zu gewähren, diese aber durch die obligatorische Verringerung der Arbeitszeit ohne Lohnausgleich wieder (teilweise) abzusenken. Je nach Rechenmodell und Verhandlungsverlauf würde so aus dem Senatsvorschlag für einen Solidarpakt „Weniger Arbeit für weniger Geld“ ein „Weniger Arbeit für weniger weniger Geld“, ein „Weniger Arbeit für gleiches Geld“ oder ein „Weniger Arbeit für ein bisschen mehr Geld“.
Im Moment scheint sich herauszukristallisieren, dass auch die Gewerkschaften kein Interesse an einem harten Konfrontationskurs haben. Zu unsicher ist, wie groß die Streikbereitschaft der Beschäftigten tatsächlich ist und wie ein Arbeitskampf öffentlich vermittelt werden kann. Von einer Mobilisierung für einen Arbeitskampf war jedenfalls im Umfeld der Personalrätekonferenz in dieser Woche wenig zu spüren.
Zwar sei es nicht schwierig, die Beschäftigten für einen Streik zu mobilisieren, heißt es in Gewerkschaftskreisen. Damit wecke man aber hohe Erwartungen, die sich nicht realisieren ließen. Im Klartext: Wenn es wegen der schlechten Haushaltslage wenig bis nichts zu holen gibt, nützen auch harte Drohgebärden wenig.
Weitere Umstände untergraben das Drohpotenzial der Gewerkschaften: Traditionell gewerkschaftsstarke Bereiche wie BVG, BSR und die Krankenhäuser fallen weg; Lehrer und Polizisten dürfen als Beamte nicht streiken. Übrig bleiben nur die Kitas, Bezirks- und sonstige Verwaltungen und die Hochschulen. Beim letzten Kita-Streik 1990 haben sich die Gewerkschaften allerdings blutige Nasen geholt.
RICHARD ROTHER