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Archiv-Artikel

Wohnen auf dem Wasser

Ob selbstgezimmert oder als schwimmendes Fertighaus – mit ihren Quadratmetermieten ab fünf Euro im Jahr haben „Floating Homes“ als Wohnform Zukunft. Worauf in Hamburg und Berlin immer mehr Menschen umsteigen, das könnte auch ein Modell für die Überseestadt sein

Von Christian Jakob

Sie liegen da wie zwei stumme Fjorde, die sich abseits der Weser ergossen haben in die ansanierte Hafenbrache im Waller Süden. Über drei Kilometer Uferlänge messen die Becken des Europa- und des Industriehafens der Überseestadt. Das ist eine Menge Platz in zukunftsfroher Lage und dies ist umso bemerkenswerter, als das über die künftige Nutzung großer Teile der Kajenkanten noch nicht entschieden ist.

So etwa beim citynahen Europahafen, südliches Einfallstor und Kernprojekt der Wiederbelebung des Hafenquartiers, für das die Bremer Investitions-Gesellschaft (BIG) verantwortlich ist. In den letzten Jahren wurden hier die Spundwände tiefer gelegt, Freiflächen geschaffen und eine Promenade geebnet, die künftig Flaneure locken soll. Noch sieht es nicht danach aus, doch BIG-Sprecherin Juliane Scholz versichert, der Europahafen werden sich in Bälde „optisch sehr stark verändern“, so dass sich das Areal den Bremern „im nächsten Jahr mit einer ganz anderen Aufenthaltsqualität präsentieren“ werde.

Der 2003 vom Senat verabschiedete „Masterplan Überseestadt“ hatte vorgesehen, eine Marina, einen privaten Yachthafen, in dem Becken anzusiedeln. Die Ausschreibungsfrist hierfür endete vor kurzem, doch ein Betreiber ist nicht in Sicht. Das einzige eingegangene Angebot habe „nicht den formalen Vorgaben entsprochen“, sagt Scholz. Dennoch führe die BIG derzeit Gespräche mit dem potentiellen Investor. Man stehe dabei aber nicht unter Erfolgsdruck: „Die Marina ist kein Projekt, das kommen muss“, sagt Scholz. Fände sich kein Betreiber, wäre dies „kein Beinbruch“. Die Belebung des Quartiers sei allein durch die Gewerbe- und Bürolofts in den Porthäusern, dem Speicher 1 und dem Schuppen 1 gesichert. Zudem gebe es „immer wieder Leute, die auf uns zukommen und dort Veranstaltungen machen wollen.“ Ansonsten „müssen wir schauen, was die Entwicklung so hergibt“, sagt Scholz. Die BIG sei „grundsätzlich offen für andere Nutzungen“.

Im etwas weiter nördlich gelegen Industriehafen will die BIG an der gewerblichen Nutzung im Moment nicht rütteln. Doch das dauerhaft die gesamten Kajen von den dort verbliebenen Unternehmen wie der Rolandmühle genutzt werden, ist unwahrscheinlich.

Rund 7.000 Arbeitsplätze gibt es derzeit im Übersee-Quartier, überwiegend im Dienstleistungssektor, weitere 10.000 sollen im nächsten Jahrzehnt hinzukommen. Doch der „Masterplan Überseestadt“ sah auch vor, das Gebiet als Wohnraum zu erschließen. Man rechnete zunächst mit bescheidenen 1.000 Einwohnern, doch das es ein gemischt genutzter Stadtteil werden möge, war festgeschrieben.

Bisher aber will kaum jemand in dem von Deichen und großen Verkehrstrassen abgekapselten Hafengebiet leben, was auch daran liegen dürfte, dass eine Nahversorgung nicht existiert. Dabei hat man sich bei der Anbindung durchaus Mühe gegeben: Seit 2006 fährt die Linie 3 auf ihrem Weg nach Gröpelingen durch das Überseequartier. Die millionenteure neue Streckenführung haben Stadt und BSAG nach eigenem Bekunden vor allem auch deshalb eingerichtet, um neue Bewohner dorthin zu locken.

Für das „Autonome Architektur Atelier“ hängt der Erfolg des Quartiers von der Ansiedlung einer heterogenen Bewohnerschaft ab. „Die Überseestadt muss von Menschen, die dort wohnen wollen in Besitz genommen werden“, sagt der Architekt Daniel Schnier. „Bis jetzt durfte das aber niemand ernsthaft. Normal ist das nicht. Alle Waterfront-Cities dieser Welt in Rotterdam, Lissabon oder Hamburg sind als Wohnlagen schwer angesagt. In Bremen hat man lange daran festgehalten, dass das Gebiet immer gewerblich war und deshalb jetzt so bleibt. Davon rückt man langsam ab. Aber die bis jetzt geplanten Projekte werden teuer und vor allem räumlich sehr isoliert sein.“

Es gebe bisher nur sehr wenige soziale Anlaufpunkte wie die Blaumeier-Karawane, das Junge Theater oder das im Sommer gelaufene Zwischennutzungsprojekt „Brache als lebendiges Dorf“. Brachflächen müssten freigegeben und viel neuer Wohnraum geschaffen werden. „Die Frage ist aber: Will man nur die Leute mit dem Z4 oder will man einen jungen Stadtteil, in dem auch junge Familien ohne viel Geld leben?“, sagt Schnier.

Eine Möglichkeit, jungen Familien eine Ansiedlung zu ermöglichen glaubt der Hamburger Architekt Karsten Trabitzsch entwickelt zu haben. Sein Büro ist seit Jahren spezialisiert auf Hausboote der neueren Art, „nichts Freakhaftes“, wie er sagt. In seinen futuristisch gestalteten Wohnflößen ist viel Glas und Holz verbaut, die abgerundeten Wände lassen viel Licht hinein. Ähnlich luxuriös klingt auch der Anschaffungspreis. Doch laut Trabitzsch sind seine dümpelnden Bauten durchaus auch ein mögliches Domizil für Menschen mittlerer Einkommensklassen. „Wohnen in der Stadt wird immer teurer“, sagt er. Daran, citynah neu zu bauen, sei kaum mehr irgendwo zu denken. Lagen am Wasser seien ohnedies unerschwinglich, selbst zur Miete. Mit seinem „D-Type“, der kleinsten der drei „Floating Homes“-Baureihen, komme man günstiger davon: Für 240.000 Euro gibt es 120 bezugsfertige Quadratmeter Wohnfläche, mit Wohnzimmer, zwei Schlafzimmern, Küche, Bad, Abstellraum und Balkon. Doch das wichtigste: Die Kosten für ein Grundstück entfallen. Und die Pacht für den Liegeplatz ist gering: „In Hamburg zahlen Sie im Jahr fünf Euro pro Quadratmeter überdeckter Wasserfläche,“ rechnet Trabitzsch vor, etwa 600 Euro insgesamt also. Das ist bundesweit der Standardpreis bei Gewässern, die in öffentlichem Besitz sind. Auf privaten Marinas werden bis zu 2.000 Euro im Jahr fällig – noch immer weit weniger als jede Mietwohnung vergleichbarer Größe.

„An die Außenalster kommen Sie damit natürlich nicht“, sagt Trabitzsch. Doch auch die auf Betreiben Trabitzsch’ vom Hamburger Bezirksamt Mitte ausgewiesenen Liegeplätze im Billwerderaner Billebecken oder im Hammerbrooker Mittelkanal gelten als attraktiv. In einer Stadt mit so hohen Immobilienpreisen wie Hamburg Wasserflächen als Wohnraum zu nutzen, ist für Trabitzsch ein Modell mit Zukunft.

Konflikte mit anderen Nutzungsformen gebe es nur bedingt. „Da, wo eine Hafennutzung in Frage kommt, brauchen wir es natürlich gar nicht zu versuchen.“ Doch dies sei nicht überall der Fall. Einige der Elbseitenbecken, wie etwa der Wilhelmsburger Reiherstieg, seien für Hafenzwecke nicht tief genug.

Und auch mit Uferwanderwegen sollen sich die Wohnflöße vertragen. „Wir brauchen nur kurze, flexible Anschlüsse für die Versorgung“, sagt Trabitzsch. Größere Umgestaltungen am Uferbereich seien nicht notwendig. Voraussetzung sei lediglich, dass Wasser, Gas- und Stromleitungen der Stadtwerke in der Nähe verliefen, dies sei jedoch meist der Fall. Großkunden gewinnen die Stadtwerke dabei kaum. Die Hausboote heizen mit einer Luftwärmepumpe und erfüllen so den Niedrigenergiestatus mit einem Verbrauch von maximal 60 Kilowattstunden je Quadratmeter im Jahr. Außerdem können sie mit Solarzellen, Brennstoffzellen oder einer Dreikammer-Kläranlage für Liegeplätze ohne Abwasserleitung nachgerüstet werden.

Das Schaukeln ist, glaubt man Trabitzsch, kein Problem. Dank schwerer Stahlbetonpontons lägen seine „Floating Homes“ „wie ein Brett im Wasser“.

Auch der Kölner TV-Sendetechniker Jörg Remus wohnt in einem „Floating Home“. Doch seines kommt nicht wie die Hamburger Nobelmodelle von der Stange. Remus hat es selbst gebaut – und den Vorgang akribisch auf einer Homepage dokumentiert. „Aussteigen.de“ hat er sie genannt, denn für ihn ist ein selbstgezimmertes Hausboot auch eine Möglichkeit, mit vielen der alltäglichen Zwängen zu brechen, ohne den Lebensort wechseln zu müssen.

Besonders schwierig sei dies nicht: „Solange das Boot nicht länger ist als 15 Meter und man es nicht innerhalb der ersten fünf Jahre wieder verkauft, gibt es praktisch keine Auflagen“, sagt Remus.

18 Monate hat er auf einer kleinen Werft nahe Köln gebaut, 30.000 Euro hat Remus das Material gekostet. Das Ergebnis bietet Platz für „eine Person oder zwei, die sich sehr mögen“ und gleicht einer finnischen Blockhütte. Dies mag helfen, denn schließlich muss er einen Liegeplatz finden, und auf den kommerziellen Marinas sind allzu ausgefallene Konstruktionen nicht gern gesehen.

Im Moment liegt Remus Heim noch in der Werft, Liegeplätze in Köln sind rar. Für einen Ankerplatz in einem privaten Yachthafen im Kölner Stadtgebiet rechnet er mit 170 Euro im Monat – auch dies ist noch weit weniger, als jede Mietwohnung in der Stadt. Doch die Auswahl ist begrenzt: „Es gibt hier leider nicht ganz so viele schöne Plätze wie in Berlin oder Hamburg. Da sind die ja über das ganze Stadtgebiete verteilt.“ Künftig wird er wohl im nahe gelegenen Leverkusen ankern.

Für den Bau sei wenig mehr nötig gewesen, als „keine Angst, Fehler zu machen“. Wer mag, kann sich eine detaillierte Fotogalerie seiner Bauabschnitte im Netz ansehen.

Noch kommt Remus’ Strom aus der Steckdose. Viel davon braucht er nicht, „nur der Kühlschrank und drei Leuchten.“ Mittelfristig plant er, diese autark mit Solarzellen zu versorgen. Telefon und Internet nutzt er über das Handynetz. Eine offizielle Meldeadresse bekomme, wer einen Liegeplatz mit einer festen Wasser- und Abwasserversorgung vorweise.

Ein Sonderling ist Remus keineswegs. „Uns haben Familien mit Kindern, die kein Grundstück bezahlen wollten, ein Hausboot abgekauft oder Rentner, denen ihre Wohnung zu groß wurde, nachdem die Kinder ausgezogen sind.“ Für viele von ihnen sei das Wohnen auf dem Wasser „ein Traum“. Es gebe aber auch Nützlichkeitserwägungen: „Ganz viele Berufe brauchen heute kaum noch Infrastruktur, außer natürlich Internet. Leben und arbeiten in einem Hausboot zu verbinden, die Kaffeepause auf dem Wasser, das ist für Selbständige toll.“

Auch modernen Mobilitätsbedürfnissen kommen die Flöße entgegen. Trabitzsch’ kleine Modelle passen, ebenso wie die Eigenbau-Variante von Remus, unter jeder Brücke hindurch, lassen sich also in viele Binnengewässer ziehen. Remus will seinem Hausboot mittelfristig gar einen eigenen Antrieb gönnen, so dass ein Ortswechsel keine Schlepperkosten mehr nach sich zieht. Die größeren Modelle von Trabitzsch ragen zwar für einige Brücken zu weit über dem Wasser empor, lassen sich dafür aber über das offene Meer ziehen. Einem Umzug nach Skandinavien, Amsterdam oder Frankreich steht nichts im Wege, ganz billig ist der Spaß aber nicht: „12.000 Euro müssen sie für eine Verschleppung schon rechnen.“

„Weltweit orientieren sich ganz viele Städte zum Wasser“, sagt Trabitzsch. Das schließe eine Zunahme des Wohnens auf Gewässern ein. Er glaubt, dass dies auch mit der steigenden Wasserqualität zu tun hat. Die um sich greifenden, innerstädtischen „Beachclubs“ oder gar das Wohnen auf der Elbe sei in den 1980er Jahren „undenkbar“ gewesen. Das sieht auch Remus so: „Vor fünfzehn Jahren hat der Rhein ja noch richtig gestunken“, sagt er. Entscheidend sei aber, dass viele Industriehäfen nicht mehr genutzt würden. „Durch die Containerschiffe liegen viele Hafengebiete brach, die alten Kohlehäfen im Ruhrgebiet zum Beispiel, oder die Hamburger Hafencity.“

Oder eben die Bremer Überseestadt. Eine Ansiedlung schwimmender Häuser wird bei den Verantwortlichen offenbar schon seit einiger Zeit erwogen. Weiter dazu äußern will man sich bei der BIG allerdings nicht. Die Justus Grosse GmbH, eine der drei großen Entwicklungsgesellschaften in der Überseestadt, bestätigt, solche Überlegungen anzustellen. Es sei aber „noch nichts konkret.“

Das muss kein Nachteil sein.

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