: Einmal besuchte ich von Rom aus eine Freundin
Natürlich weiß ich über die letzten dreißig Jahre nichts zu sagen, nichts, was Licht ins Dunkel brächte
Natürlich weiß ich über die letzten dreißig Jahre nichts zu sagen, nichts, was Licht ins Dunkel brächte.
Gestern habe ich bei Penny Nektarinen gekauft, ein Fehlkauf natürlich. Sicher, meine unmittelbare Umgebung, meine Wohnung etwa, hat sich verändert, ist eine andere, doch mir scheint, die Art und Weise, in der ich mich darin bewege, oder sie sich um mich, wer kann das schon sagen, ist seit eh und je die gleiche. Einmal besuchte ich von Rom aus, wo ich einmal eine Weile lebte, eine Freundin in Olevano Romano, einem kleinen Ort in den Colli Albani, mit dem Bus gut zu erreichen. Ich stelle mir vor, sie hat mich vom Bus abgeholt, wir haben einen Caffè getrunken und dann einen Spaziergang gemacht, durch den Ort, wohl auch in die Gegend, zusammen mit ihrem Hund, den sie auf große Bögen Packpapier in dunklen Farben portraitierte, wieder und wieder. Sie hieß Marina, und die Vorstellung, wie sie, von eher zarter Gestalt, mit diesen gewaltigen Papierbögen hantierte, wird mir ihre Arbeiten zum Gutteil interessant, ihre Gesellschaft mir angenehm gemacht haben. Heute jedenfalls täte sie es. Auch, dass sie entgegen dem allgemeinen ewigkeitstauglichen Leinwandwahn einen ordentlichen Bogen Packpapier nicht verschmähte, wird zur Entstehung und Festigung unserer Freundschaft beigetragen haben. Aber letztlich kann ich mich an fast nichts mehr diesen Nachmittag Betreffendes erinnern. Außer an die Farne. Wenn ich diesen Nachmittag denke, denke ich Farne. Nichts schiebt sich davor, nichts dahinter. Sie stehen da, büschelweis, fett und feucht. Auf der Fahrt zurück nach Rom geriet der Bus schnell in den Abend und einmal hielt er an einer Bar an. Der Busfahrer stieg aus, man konnte ihn dann drinnen telefonieren sehen, er kam wieder heraus und weiter ging’s. Die Fahrtunterbrechung war nur kurz gewesen. Vor der Bar hatte einer gesessen, bräsig, ein Glas in Reichweite, der dem Abend zugeschaut hatte, und ich erinnere mich, ihn beneidet zu haben um sein Getränk, einen Schwatz mit der Barrista, um sein offensichtliches Wohlbehagen, sein Angekommensein.
Hier sollte nun eine tiefere Bresche ins Erzählen geschlagen werden als ein bloßer Absatz. Nach einem dramaturgischen Personalwechsel und gut zwanzig Jahre später sehen wir einen bereits nachdrücklich in die Jahre gekommenen Mann, silbern um die Stirn und in Erwartung des Abendvergnügens dezent aufgebrezelt, fast ein Herr, in einer griechischen Taverne um Contenance ringen. Er hat schlecht gegessen und etwas hastig getrunken und ist an diesem Abend außer einem laufenden Fernsehapparat der einzige Gast, vom Wirt argwöhnisch beäugt. Der Fernsehschirm flimmert nur mehr bläulich, jemand musiziert. Später wird sich herausstellen, dass an diesem Abend die Aufzeichnung eines auch nicht mehr neuen Konzerts der Pink Floyd an oder auf der Pont Neuf in Paris gesendet wurde. Es regnet und er vermutet, zu Recht, wie sich zeigen wird, hernach in ein klammes Gästebett steigen zu müssen. Vor der Tür hält ein Bus. Der Fahrer steigt aus, kommt herein, legt wortlos ein feuchtes Päckchen auf einem der Tische ab, geht wieder hinaus, steigt ein, fährt weiter. Im Schein der nur spärlichen und gleichwohl und vielleicht gerade darum heimelig das Businnere ausleuchtenden Leselämpchen hatte er, zumal durch den Regenschleier, die Reisenden eher erahnt denn gewahrt, die, das Tun und Lassen des Busfahrers beobachtend, einen späten Gast hätten ausmachen können, der da saß und um Contenance rang.
Was natürlich auch nichts besagt.
RICHARD NÖBEL, Jahrgang 1952, ist seit Februar 1979 bei der taz.