: Blicke hinter Bilder
Auf der Schwelle zwischen Faszination und Grauen: Die aktuellen Bilder des Hamburger Künstlers Daniel Freytag konfrontieren den Betrachter mit dem Zeitgeschehen
von JULIA HEYDORN
Auf der Staffelei steht eine 180 mal 150 Zentimeter große Leinwand. Lichtpunkte und ein hell strahlender Kreis tauchen aus einer verschwommen grünlichen Fläche auf. Es blinkt, leuchtet, flimmert aus winzig kleinen Reflexen. Ein Feuerwerk? Ein Blick ins Weltall? Eine Mondlandschaft?
Nein. Das Dargestellte erinnert an Fernsehnachrichten, die Übertragung nächtlicher Bombenangriffe und Gegenfeuer, an 1991. An Bilder, die während des Golfkrieges als neuartige Form der Kriegsberichterstattung in unsere Wohnzimmer kamen.
Vom Leid abgelenkt
Zwei Arten von Bilddokumenten erreichten den Zuschauer: Die in grünlichem Licht schimmernden Aufnahmen von Nachtsichtgeräten und die von Onboard-Zielverfolgungskameras aufgenommenen Leuchtfeuer militärischer Aktionen, erkennbar am Fadenkreuz und an den am Rand eingeblendeten Daten. Aufnahmen, die den Sachverhalt nicht mehr eindeutig erkennen lassen.
Daniel Freytag hat diese Nachrichtenbilder von 1991 als Bildquelle für seine Kunst verwendet. Das Bild „Threshold View A2“ gehört zum Primärkonzept des 30-jährigen Künstlers. Thema seiner vielschichtigen Einzelserien ist der weltweite militärische Konflikt, den der Künstler aus politischer, psychologischer und mediensoziologischer Sicht betrachtet und verarbeitet.
Die Bilder der „Threshold View“-Serie zeigen die Aufnahmen, die zu Zeiten des Golfkriegs täglich über die Bildschirme flimmerten. Als die Amerikaner im vorigen Jahr Krieg gegen Afghanistan führten, waren sie wieder einmal zu sehen. Zwischen Nachrichtenansagen und Live-Mitschnitten eingeblendet, zeigten sie eine technisch perfektionierte Kriegsführung, hinter der das menschliche Leid gar nicht erst auftaucht.
„Auch meine Bilder sind Panoramablicke übers Schlachtfeld“, sagt Freytag. „Sie zeigen nicht Menschen, sondern Lichtreflexe.“ Weit genug vom Kriegsgeschehen entfernt, aber nah genug, um sich der Bedeutung dieser Reflexe bewusst zu werden, hat der Betrachter die Wahl zwischen Faszination und Grauen. Er kann das Kriegsszenario wie ein Schauspiel betrachten oder sich vergegenwärtigen, was wirklich hinter diesen Lichtpunkten steht.
„In der Realität sind das Flugabwehrfeuer oder die Explosion von Bombeneinschlägen“, erläutert Freytag. Ist der Betrachter bei dieser Erkenntnis angelangt, hat er die Schwelle bereits übertreten.
Über die Schwelle treten
Bombeneinschläge bedeuten Menschenverlust, Leid, Blutvergießen, Elend. Man kann sich aber auch von den Möglichkeiten der Technik und der Präzision der sachlichen Berichterstattung so gefangen nehmen lassen, dass einem die zerstörerischen Folgen dieses Szenarios gar nicht erst nicht in den Sinn kommen.
Ist aber genau diese einseitige Betrachtungsweise nicht gefährlich? Kann man sich vor der Auseinandersetzung mit Tod und Elend drücken? Inwieweit muss man seine Gefühle ausschalten, um die grausamen Folgen kriegerischer Aktionen verarbeiten zu können? „Diese Fragen beantworten meine Bilder nicht, sie stellen sie in den Raum“, sagt der Künstler über sein Werk. Wenn der Betrachter sich des Potentials dieser Bilder bewusst wird, ist die Intention Freytags, durch die Dokumentation Ereignisse zur Konfrontation zu bringen, erreicht.
Jedem Betrachter dieser Bilder ist freigestellt, sich vom Dargestellten zu distanzieren. Freytag weist aber auf den Trugschluss der Distanz hin: „Gerade die Bilder der Threshold View-Serie könnten in den nächsten Wochen wieder zum vertrauten Spektrum der alltäglichen Fernsehbilder gehören.“