Wann ist ein Krieg gerecht?

Die amerikanische Außenpolitik seit dem 11. September ist klug und besonnen –eine Antwort auf den offenen Brief des US-Historikers Norman Birnbaum

In Wirklichkeit hat die Irak-Debatte mit dem Irak nur wenig zu tun – sie hat Amerikazum Thema

Lieber Norman,Stellen wir uns vor, George W. Bush würde sich für eine kräftige Anhebung der amerikanischen Auslandshilfe aussprechen, oder er würde den Kongress auffordern, die rückständigen UN-Beiträge zu bezahlen, oder ankündigen, die Vereinigten Staaten würden der Unesco beitreten. Stellen wir uns vor, der amerikanische Präsident brächte Gesetze zur Verminderung der Umweltverschmutzung durch Dieselkraftstoffe auf den Weg. Oder er griffe seinen eigenen Mehrheitsführer im Senat an – und sorgte für seine Absetzung –, weil dieser Senator sich in einigen Bemerkungen als Freund der Rassentrennung erwiesen hatte. Stellen wir uns vor, George W. würde praktisch jede nur denkbare Möglichkeit für die öffentliche Erklärung nutzen, der Islam sei eine große und achtbare Religion, die Respekt und Wertschätzung verdiene – in einem deutlichen Versuch, in diesen schwierigen Zeiten Freundschaft zu zeigen und Vorurteilen entgegenzutreten. Stellen wir uns vor, auf ähnliche Weise würde sich Bush gegenüber Russland öffnen und sich bemühen, Moskau zu einem vollberechtigten Partner des Westens zu machen.

Tatsächlich hat George W. all das getan. Mehr noch. Nach den barbarischen Angriffen des 11. September war in Afghanistan von leichtfertiger Cowboy-Politik nichts zu spüren. Stattdessen herrschten Geduld und Multilateralismus. Während des Krieges und danach haben etwa neunzig Nationen mit Amerika zusammengearbeitet. Herr Bush hat sich früher einmal abfällig über „Nation Building“ geäußert. Anscheinend hat er jedoch zugehört und gelernt. Er hat die US-Streitkräfte nicht aus dem Kosovo und Bosnien zurückgezogen, wie es unsere Partner befürchteten. Und er wird, wie ich behaupten möchte, auch im Irak bleiben, sobald Saddam Hussein verschwunden ist.

Aber dennoch sind die meisten Europäer nach wie vor empört, und Sie, Norman, sind es auch. Das ist seltsam. Natürlich lassen sich Argumente für einen Schuldspruch finden. Bushs Umgang mit Kioto war eine Katastrophe. Ich war enttäuscht, dass die Regierung ihre Kritik am Internationalen Strafgerichtshof nicht deutlich zu machen vermochte. Ich bin für eine Zusammenarbeit mit Russland; aber ich kann nicht erkennen, warum eine strategische Partnerschaft mit Russland uns dazu verpflichten soll, die Übergriffe gegen eine freie Presse und die Menschenrechtsverletzungen in Tschetschenien zu ignorieren. Offensichtlich werden wir Amerikaner unseren Idealen nicht immer gerecht. Erinnern Sie sich, wie wir die Kurden im Irak verrieten? Und Sie haben auch Recht, wenn Sie darauf hinweisen, dass wir zu Schulmeisterei und frommen Reden neigen (der Direktor des Aspen-Instituts bildet da keine Ausnahme!).

Dennoch muss ich schmunzeln, wenn ich in diesen Tagen die Kommentare vieler Europäer zu den USA lese. Ich dachte immer, wir Amis seien die Kerle mit der groben, einfach gestrickten, schwarz-weißen Weltsicht. Es tut mir Leid, Norman, aber ich gewinne den Eindruck, dass Zweifel nur Saddam Hussein zugute gehalten werden – George W. Bush bleibt davon verschont.

Nehmen wir den Irak. 1991 wies die Welt Saddam an, er solle seine Massenvernichtungsmittel preisgeben. Von 1991 bis 1998 berichtete das UN-Inspektions-Team immer wieder vom Katz-und-Maus-Spiel Saddams. 1998 machte Saddam die Türe einfach zu – anscheinend war er dieses Spiels selbst überdrüssig geworden. Vier Jahre lang, während Saddam gegen eine UN-Entschließung nach der anderen verstieß, verschlossen wir vor dem Problem unsere Augen. Jetzt endlich sagt ein amerikanischer Präsident, dass es jetzt reicht, und prompt platzen Sie und Ihre europäischen Freunde vor Wut. Worum geht es da eigentlich?

Manche meinen, die Amerikaner wollten einfach nur das Öl. Andere vertreten die Ansicht, der jüngere Bush wolle die Aufgabe seines Vaters zu Ende führen. Und natürlich stößt man sich am Völkerrecht und der amerikanischen Vorherrschaft. Sie selbst schrieben kürzlich auf diesen Seiten von „Bushs Proklamation der moralischen Überlegenheit und des daraus folgenden Rechts, als ultimativer Herrscher der Weltgeschichte aufzutreten“.

In Wirklichkeit hat die Irak-Debatte, die Sie und viele andere führen, mit dem Irak nur wenig zu tun. In erster Linie hat sie anscheinend Amerika zum Thema. Das setzt die Gegner einer Intervention in kein besonders gutes Licht.

Ja, Amerika besitzt wirtschaftliche Interessen am Persischen Golf. Dafür bedarf es keiner Entschuldigung. Aus strategischen Gründen haben die USA jedoch Sanktionen gegen den Irak (und den Iran) befürwortet. Und Sie wissen, Norman, dass die amerikanische Wirtschaft die Folgen dieses Vorgehens spürt und sich seit Jahren unablässig für die Aufhebung dieser Sanktionen einsetzt. Und die EU? Nun, die Anbiederung an diese Diktaturen läuft unter der Bezeichnung „kritischer Dialog“ – aber ich glaube, auch Sie müssten zugeben, dass sich dahinter in erster Linie „kritische Gelegenheiten“ für die europäische Wirtschaft verbergen, oder etwa nicht?

Ebenso heiter stimmen die frommen Verlautbarungen über die Unantastbarkeit des Völkerrechts. Fast alle, die das als Argument gegen eine Intervention im Irak nutzen, übersehen bequemerweise, dass die Intervention im Kosovo vor nur wenigen Jahren völlig illegal war. (Gott sei Dank brachte unser illegales Vorgehen Milošević’ Kriegsmaschinerie zum Stehen und rettete Zehntausenden das Leben.) Und verwirrend erscheint mir nach wie vor die Bereitschaft insbesondere der deutschen Linken, sich vor dem Altar des UN-Sicherheitsrats auf die Knie zu werfen. Sicherlich ist Ihnen bewusst, dass dieser der chinesischen Regierung ein Veto gegen unsere Aktionen einräumt. Und das würde doch bedeuten, dass das Regime, das auf dem Tienanmen-Platz Studenten massakrierte und heute Menschen mit dem Kopf nach unten aufhängt und mit Paddeln blutig schlagen lässt (manchmal bis zum Tode), weil diese sich gewisser Atemübungen schuldig gemacht haben, dass also diese Leute über die Legitimität entscheiden sollen? Oder gilt für einige Leute die Regel: Um die Amerikaner zu behindern, ist auch das zynischste Mittel recht?

Ich dachte immer, wir Amis seien die Kerle mit der groben, schwarz-weißen Weltsicht

Lieber Norman, jetzt endlich stehen wir vor der Entwaffnung Saddams, vor der Befreiung des irakischen Volkes und dem Versuch, die erste arabische Demokratie zu errichten. Das ist ein schwieriges, kostspieliges und gefährliches Vorhaben. Aber geht es denn nicht um eine gute Sache? Sie haben vorgeschlagen, ein Aspen-Forum solle sich mit dem Thema „Krieg und Terrorismus – wo liegt der Unterschied?“ auseinander setzen. Ich schlage vor, die Diskussionen sollten die Themen „Wann ist ein Krieg gerecht?“ und „Demokratie – eine langfristige Investition“ behandeln. Die Europäer – ganz besonders die Deutschen – könnten viel dazu beitragen. Kann ich auf Ihre Teilnahme hoffen?

Herzlich JEFF GEDMIN

Übersetzung von Meino Büning