: Umkämpfter Tunnel freigegeben
Laster rollen seit gestern auf neuer Route durch die Pyrenäen. Jahrzehntelanger Anwohnerprotest missachtet. Täglich 2.700 Lkws befürchtet. Lokalpolitiker und Staatschefs fehlen bei der Eröffnung ebenso wie ausgebaute Zufahrtswege
PARIS taz ■ Mit der Idylle am Somport-Pass ist es vorbei. Nach jahrelangem Streit wurde gestern Nachmittag ein 8,6 Kilometer langer Straßentunnel durch die Pyrenäen eröffnet. Er wird fortan Frankreich und Spanien miteinander verbinden und alltäglich Tausende von Schwerlastern in die engen Täler des Naturschutzgebietes locken. Bislang tummelten sich dort vor allem Pilger auf dem Jakobsweg, Wanderer, Skilangläufer und die vor wenigen Jahren ausgesetzten Bären aus Slowenien.
Wenige Stunden bevor die beiden Verkehrsminister aus Paris und Madrid zur feierlichen Tunnel-Eröffnung in dem Pyrenäental eintrafen, blockierten Anwohner in Urdos, dem letzten französischen Dorf vor dem Tunneleingang, die Zufahrtsstraße. Ein letztes Mal skandierten sie ihren Slogan: „No pasarán“ – sie kommen nicht durch.
Das Bauprojekt haben sich EU-Bürokraten ausgedacht, um Europa zu „vernetzen“. Seit es Anfang der 90er öffentlich bekannt wurde, haben die Anwohner gegen die Betonisierung ihres Tals protestiert. Sie verlangten, dass die örtliche Eisenbahnstrecke, die 1970 stillgelegt wurde, renoviert und neu eröffnet wird. Sie verlangten, dass der europäische Gütertransport von der Straße auf die Schiene verlagert wird. Und als absehbar war, dass die Tunnellobby sich durchgesetzt hatte, verlangten sie immerhin noch, dass zumindest der Zufahrtsweg zum französischen Tunneleingang außerhalb ihrer Dörfer verlegt wird. Bis zu 10.000 Menschen nahmen im vergangenen Jahrzehnt an Demonstrationen und Zeltlagern im Aspe-Tal teil.
Gestern musste diese breite Bewegung ihrer schweren Niederlage ins Auge sehen. Ihre Proteste haben die Tunneleröffnung zwar um sieben Jahre verzögert und ihre Klagen vor Gericht haben unter anderem durchgesetzt, dass die Bauarbeiten um gut 30 Meter verlegt wurden, um nicht direkt durch ein Naturschutzgebiet zu führen. Doch weitere Erfolge konnten die Umweltschützer nicht verbuchen.
Der Tunnel hat bislang 278 Millionen Euro gekostet, von denen der größte Brocken EU-finanziert ist. Nach den Plänen seiner Konzeptoren soll er einen Teil des Schwerlastverkehrs zwischen Nordeuropa und der Iberischen Halbinsel anziehen. Auf der spanischen Seite, wo die Landschaft flacher ist, sind die Zu- und Abfahrtswege fertig. Dort gab es in den vergangenen Jahren auch nur selten Proteste. Auf der französischen Seite hingegen führt die Anfahrt zum Tunnel auch heute noch über eine Landstraße, die schon zu Zeiten von Napoleon I. existierte. Sie führt mitten durch Dörfer, in denen die Straßen so eng sind, dass kein Platz für Trottoirs bleibt, und durch zahlreiche enge Serpentinen in den Tälen. Für den Ausbau der 26 Kilometer langen Zufahrtsstrecke auf französischem Territorium gibt es bislang lediglich eine Absichtserklärung. Aber weder einen Termin noch die nötigen Mittel. Dasselbe gilt für die stillgelegte Eisenbahnlinie.
Die 14 Bürgermeister der betroffenen französischen Pyrenäendörfer sowie mehrere Provinzpolitiker von rechts bis links boykottierten die gestrige Eröffnung. Auch die beiden ursprünglich für die Eröffnung des Großbauprojektes eingeplanten Stargäste, der spanische König und der französische Präsident, kamen nicht. Der konservative französische Regionalpolitiker Jean Lassalle (UDF) sprach von einer „Billigeröffnung“. Vor allem, weil die nötige Infrastruktur vor dem Tunneleingang fehlt. Frankreichs Verkehrsminister Gilles de Robien hingegen nannte den Somport-Tunnel gestern Vormittag ein „ganz wesentliches Element für den Aufbau Europas“.
Die Tunnelgegner, die in Paris weder bei konservativen noch bei rot-rosa-grünen Politikern die nötige Unterstützung gefunden hatten, gehen jetzt davon aus, dass der Tunnel künftig „wie ein Luftzug wirken“ und bis zu eine Million Laster im Jahr anziehen wird – 2.700 täglich. In einer gemeinsamen Absichtserklärung beteuern sie, dass sie den Widerstand nicht aufgeben wollen. DOROTHEA HAHN