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Archiv-Artikel

Neue Chance für den Osten

Wir kennen keine Parteien mehr, sondern nur noch Einheitsprobleme, sagt sich der MDR und schickt „Gysi und Späth“ auf den Bildschirm. Erster Gast ist – ausgerechnet – Manfred Stolpe (22.05 Uhr)

aus Dresden MICHAEL BARTSCH

Der Mitteldeutsche Rundfunk (MDR) lässt Quote vor Ideologie gehen und präsentiert ab heute zwei ehemalige Spitzenpolitiker als Talker: Gregor Gysi rutscht als Frager auf die andere Seite der Fernsehcouch, Lothar Späth kennt den Platz schon als ehemaliger Moderator des n-tv-Wochentalks „Späth am Abend“.

Beide bekommen monatlich eine gemeinsame Dreiviertelstunde beim Mitteldeutschen Rundfunk, zur besten Sendezeit für Früheinschläfer. Losgelassen werden sollen sie jeweils auf zwei weitere, nicht ganz unbekannte Fernsehdarsteller, zum Auftakt sind es Norbert Blüm – und Manfred Stolpe.

Nun münden Politikerlaufbahnen immer häufiger in Fernsehsendungen für Kommunikationsvoyeure. Auch eine Form der Altersvorsorge, eine nahe liegende zumal nach den zuvor gesammelten Erfahrungen im Milieu des roten Kameralichts. Manche können’s auch wirklich oder haben es früher sogar einmal gelernt wie Günter Gaus. Andere wie der ehemalige sächsische Innenminister Heinz Eggert brauchen eben einen „Grünen Salon“ zur Therapie ihrer Großartigkeitskomplexe.

Die Berliner Schnauze Gregor Gysis taugt nun bekanntermaßen nicht nur für Wahlkampfzwecke. Dem Rechtsanwalt, Ex-PDS-Chef, kurzzeitigen Berliner Wirtschaftssenator, Publizisten und Volksredner im Deutschen Theater Berlin fehlt geradezu noch der krönende Titel des Talkmasters. Und die trockene schwäbische Plaudertasche Lothar Späth bietet sich als willkommenes Gegenüber an.

Intern soll deshalb Sabine Christiansen, deren Firma TV 21 die Sendung produziert, schon von einem „garantierten Quotensieger Gysi“ gesprochen haben. „Wir wollen nicht in irgendeine Konkurrenz treten“, dementiert Gysi. Auch das ZDF-Format „Frontal“ biete nicht die Vorlage. Während dort Kienzle und Hauser erst in ihre kontroversen Rollen schlüpfen mussten, personifizieren der rotbunte Gysi und der schwarzbunte Späth ja schon den großen Unterschied. MDR-Fernsehchef Wolfgang Kenntemich findet darin „einen besonderen journalistischen Reiz“ – und schnell gemeinsame Nenner: Beider Querdenker-Image etwa und vor allem ihre gemeinsame Sorge um Ostdeutschland. Das ewige Ostthema dient als Generalüberschrift dieses neuen Formats und baut bewusst auf unterschiedliche Biografien der Akteure. „Bislang fehlte ein Format, das in den neuen Bundesländern zu diesen Problemen der inneren Einheit Stellung nimmt“, bekräftigt der frühere baden-württembergische Ministerpräsident und spätere Jenoptik-Chef Späth.

Doch insbesondere die Verpflichtung Gysis hat für Proteste gesorgt, die dem von zahlreichen Stasi-Mitarbeiteraffären gebeutelten MDR gar nicht schmecken. Das Leipziger Bürgerkomitee forderte den MDR zum Verzicht auf und warnte vor einem weiteren Imageverlust. Im Internet-Forum des Senders finden sich wütende Attacken gegen den „letzten DDR-Verbrecher“. Dort wird auch der Immunitätsausschuss des Bundestages zitiert, der Gysis IM-Tätigkeit zu DDR-Zeiten als erwiesen ansah. Die Birthler-Behörde bestreitet, auf angebliche MDR-Anfrage hin den einstigen PDS-Stimmenfänger nochmals „gegauckt“ zu haben. Sie hatte Gysis Vergangenheit erst im Frühsommer 2002 im Zusammenhang mit der Berliner Senatsbildung durchleuchtet und monierte jetzt, dass kein Antrag zur erneuten Überprüfung eingegangen sei.

Eine Hintertür hält sich die Dreiländeranstalt offen: Nach drei Runden soll die Sendung evaluiert werden. Stehaufmännchen Gysi würde aber wohl auch ein weiterer Abschied in seiner Karriere nicht schaden.