: Auf der A1 der Ostsee
Auf Beobachtung in der „Kadetrinne“: Duch die enge Passage fährt jeden Tag mindestens ein Tanker mit nur einer Wand
taz ■ „Auf Deck waren Minustemperaturen, unter Deck hat es gestunken, weil das Klo mal übergelaufen ist. Nach einer Woche mit wenig Schlaf war ich reichlich übernächtigt“, erzählt der 42-jährige Michael Riechers und wirkt dabei trotz allem sehr zufrieden. Warum tun sich Menschen das an, in ihrer Freizeit eine Woche lang an Bord eines noch nicht fertig umgebauten, ehemaligen Feuerschiffs auf der Ostsee im Schichtdienst unter spartanischen Bedingungen zu wachen und zu schlafen?
Vielleicht deshalb: „Ich finde es schockierend, dass da Tanker rumfahren, die älter sind als ich.“ Darüber regt sich die 20-jährige Kerstin Haller auf. Deshalb haben die AktivistInnen jeweils für eine Woche an einer insgesamt vierwöchigen Greenpeace-Beobachtungsaktion in der „Kadetrinne“ teilgenommen. Über diese Meerenge zwischen Rostock-Warnemünde und der dänischen Insel Falster sagt die Umweltorganisation, sie sei die „A 1 der Ostsee“. Für Schiffe mit großem Tiefgang sei wenig Platz zum Manövrieren, außerdem gebe es starke Seitenwinde, die die Schiffe leicht mal aus ihrer Spur drücken können. Trotzdem passiert jeden Tag mindestens ein veralteter Tanker mit nur einer Außenwand diese Strecke, auf der keine Lotsenpflicht herrsche, berichten die AktivistInnen. Auch der vor Galizien verunglückte Tanker „Prestige“ ist nur wenige Tage zuvor durch die Kadetrinne gefahren. Die Ostsee hat schlicht Glück gehabt.
Die Meeresbiologie-Studentin Haller aus Ritterhude ist bei Greenpeace dabei, seit sie dreizehn ist. Die Woche über Silvester auf der „Sunthorice“ war ihre erste Aktion auf dem Meer. Eine von ihren zwei Schichten, die sie für ihren Dienst erwischt hatte, war die harte Nachtschicht, von Mitternacht bis morgens um sechs. „In der ersten Nacht hab ich mich gefragt, wie ich das durchhalten soll. Aber man gewöhnt sich schnell daran.“ Auch nachts war ihre Aufgabe, zusammen mit einem Lotsen Radar und Horizont im Auge zu behalten, alle Schiffe zu beobachten, ob sie in der Fahrspur bleiben, die Positionen alle paar Minuten zu vermerken und bei Gefahrguttransporten die Schlauchboot-Freaks aus den Betten zu scheuchen. Die mussten zu jeder Tages- oder Nachtzeit über die bis zu zweieinhalb Meter hohen Wellen brettern, bis an die gefährlichen Pötte heran, um den Namen herauszufinden. Per Computerprogramm konnten die GreenpeacerInnen dann klären, wie alt das Schiff war und was für einen Schiffstypen sie vor sich hatten. Dabei ist rausgekommen, dass in der Beobachtungszeit allein 112 Tanker, davon 24 veraltete, durch die Meerenge fuhren. Und ein Transporter, der als Geisterfahrer unterwegs war, verstand die englischsprachigen Warnungen nicht.
„Dass ein Schiff gefährlich ist, steht natürlich nicht außen dran“, sagt Riechers lachend. „Solche Transporter haben bestimmte Gefahrenkennzeichnungen und in jeder Schicht war ein Lotse, der das früh erkannt hat“, erklärt der 42-Jährige. Der gelernte Schiffskaufmann erzählt „Ich bin nicht viel zum Schlafen gekommen. Nach der Spätschicht trinkt man doch noch mal ein Bier mit dem Lotsen und wenn dann nachts Alarm für die Bootsleute ist, wird man gleich wieder mit wach.“
Gestern hat Greenpeace in Hamburg die vollständigen Beobachtungsergebnisse vorgestellt: Die UmweltschützerInnen fordern nachdrücklich eine Lotsenpflicht für die schmale Ostsee-Passage und das sofortige Verbot aller einwandigen Tanker. Außerdem müsse es europaweit gemeinsame Notliegeplätze für Havaristen und eine gemeinsame Küstenwache geben.
Ein Ziel für die beiden? Das harte, aber gute Greenpeace-Bootstraining, um selbst ganz nah an die dicken Pötte ranzukommen.
Ulrike Bendrat