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Archiv-Artikel

Bewerbung mit gefälschtem Papier?

Um Kulturhauptstadt zu werden, greift Bremen tief in die historische Trickkiste. Und fördert zu Tage: Die „Christianisierung des Nordens“ sowie das dubiose „Linzer Diplom“, ein Prototyp der Wahrheitsverdrehung

Kulturhauptstadt: Tief gräbt, wer seine Potenziale zeigen will. Bis in’s Jahr 787Wenn man Berlin nicht aktuell bestechen kann, dann wenigstens historisch

Früh krümmt sich, was ein Häkchen werden will. Besser spät als nie bewirbt sich, wer Kulturhauptstadt sein möchte. Oder: Tief gräbt, wer seine Potenziale zeigen muss.

Zum Beispiel in der Bremer Geschichte. Das vorläufige Bewerbungskonzept hält fest: „Die stärkste ... kulturelle Prägung ging in Bremen von den Kirchen aus.“ Stichwort: 787! „Christianisierung des Nordens! Sehr richtig, sehr wichtig, sehr nachhaltig. Und die aktuelle kirchliche Bedeutung für die Bremer Kultur ist nicht zuletzt daran zu erkennen, dass unsere Kulturstaatsrätin mit Pastor Jens Motschmann, dem hiesigen Haupt der konservativen Geistlichkeit, verehelicht ist – das prägt ganz bestimmt.

Aber hat sich die Bremer Kultur nicht gerade gegen den Einfluss der Kirche entwickelt? „Bischof, verpiss’ dich, keiner vermisst dich“? Diese Selbstvergewisserung des Bürgertums wird im Konzept des Senats keineswegs geleugnet. Im Gegenteil. Unter „kulturelle Voraussetzungen“ wird ausgiebig in der Geschichte der Stadtrepublik geschwelgt, gipfelnd in der „kaiserlichen Anerkennung der bremischen Reichsunmittelbarkeit im Linzer Diplom“.

Dieser Schuss allerdings könnte nach hinten losgehen. Denn das „Linzer Diplom“, das 1998 von Armenien nach Bremen rücküberführt wurde (im Zweiten Weltkrieg war es verloren gegangen), ist nun gerade kein glanzvolles Dokument bremischer Selbständigkeit – sondern ein erkauftes Schwindelpapier. Gegen reichliche Bestechungssummen unterzeichnete Ferdinand III. in Linz 1646 ein Dokument, demzufolge Bremen schon immer „Freie Reichsstadt“ gewesen sei. Aber genau dieser Status war drei Jahre zuvor beim Speyrer Reichstag verneint worden – wie auch bei diversen früheren Gelegenheiten.

Das hielt und hält die Bremer keinesweges davon ab, ihr Diplom überall stolz vorzuzeigen. Wie jetzt wieder in Berlin, um Kulturhauptstadt zu werden. Ob das ein schlauer Gedanke ist? Schon 1647 und ’48 musste Bremen Kriege gegen die Schweden führen – die wollten partout nicht einsehen, warum sie das „Linzer Diplom“ mit seiner Selbständigkeitsbehauptung davon abhalten sollte, die Stadt zu besetzen.

Aber offenbar besteht gerade darin das Kalkül unserer heutigen Stadtväter und -mütter: Dass die Schweden und andere Miteuropäer wieder zahlreich in unsere Stadt einfallen, wenn wir mit Hilfe der gefälschten Urkunde abermals behaupten, Europas Kulturhauptstadt zu sein. Die Krönung der List wäre freilich, Kulturhauptstadt und Kirchentag zeitgleich stattfinden zu lassen. Denn offenbar braucht man dafür nur ein Konzept.

Henning Bleyl