: Nicht mal eine Breakchance
Mit hinreißendem Spiel und 33 Assen schlägt der Marokkaner Younes El Aynaoui den Australier Lleyton Hewitt. Die Australian Open haben damit einen ihrer größten Favoriten verloren
aus Melbourne DORIS HENKEL
Morgens lag, unverkennbar, der Geruch von Rauch in der Luft. Er war über 200 Kilometer von den Bränden in den Bergen des Bundesstaates Victoria herübergezogen und wirkte wie eine Erinnerung an die dramatische Situation in der Hauptstadt Canberra. Die Sonne versteckte sich hinter den Wolken und den Schwaden, aber es wurde auch so noch warm genug. Bis zum Nachmittag stieg das Thermometer auf 36,6 Grad, und das Umweltamt riet dringend, auf anstrengende Aktivitäten im Freien zu verzichten. Als ob das noch nicht genügte, meldete sich ein Mann aus dem Norden Afrikas zu Wort. Es war Younes El Aynaoui aus Marokko, der Lleyton Hewitt, die Nummer eins der Tennis-Welt, besiegte (6:7, 7:6, 7:6, 6:4). Und nun ist es fast so, als beginne das Turnier ohne den Favoriten noch einmal von vorn.
Schon lange nicht mehr hat man Hewitt so unter Druck gesehen wie in diesem Spiel. El Aynaoui schlug Asse, wie es ihm gefiel – insgesamt 33 an der Zahl –, er suchte jede Gelegenheit, um mit seiner knallharten Vorhand Punkte zu machen, und er signalisierte dem Gegner mit jeder Geste und mit jedem feurigen Blick: Junge, mach dich auf was gefasst! Der Australier versuchte alles – aber es nützte nichts. Nichts beschreibt die Verteilung der Kräfte besser als die Tatsache, dass er während der gesamten dreieinhalb Stunden des Spiels nicht eine einzige Chance zum Break hatte.
El Aynaoui meinte später mit sichtlichem Stolz: „Das wird sicher für viele Leute, die mich nicht kennen, eine Überraschung gewesen sein. Aber alle, die mehr vom Tennis verstehen, wussten, dass ich eine Chance habe.“ Schließlich ist er ja nicht irgendein Veteran aus Nordafrika, sondern einer der besten zwei Dutzend Spieler der Welt.
Es war eindrucksvoll, wie er mit seiner Chance umging, und es war mindestens ebenso eindrucksvoll, wie die Leute in der Rod Laver Arena ihn dafür feierten. Die sahen, dass sich ihr Hewitt mit aller Kraft bemühte, sahen, dass El Aynaoui mit Herzblut spielte, und sie versuchten nichts, um ihn dabei zu stoppen. Das beeindruckte den Marokkaner ungemein. In den meisten anderen Ländern hätten die Leute sicher am Ende versucht, ihn zu stören und damit dem eigenen Mann zu helfen, sagte er, aber in Australien sei das anders. „Hier kommen die Leute, um gute Spiele zu sehen, und es ist ihnen egal, wer du bist. Wenn du eine gute Vorstellung gibst, sind sie auf deiner Seite.“
Genau so war’s. Nachdem Hewitts letzter Ball neben der Seitenlinie gelandet war, belohnten sie den Sieger mit mächtigem Beifall, und selbst die Tatsache, dass sie nun garantiert noch mal mindestens ein Jahr auf einen Triumph eines Australiers bei den Australian Open warten müssen, änderte daran nichts. Hewitt gab zu, wegen der Hoffnungen und der seit vielen Jahren unerfüllten Sehnsucht der Landsleute sei es für ihn in Melbourne schwerer als bei jedem anderen großen Turnier, aber es habe vor allem einen Grund für die Niederlage gegeben: Younes El Aynaoui.
Und der ist ein schönes Beispiel dafür, dass gewisse Dinge einfach Zeit brauchen. Als er 1999 im neunten Jahr als Profi endlich den ersten Titel gewann, war er schon hoch in den Zwanzigern. Drei Titel kamen im Jahr 2002 dazu – in Doha, Casablanca und München –, und mit 31 ist er nun davon überzeugt, nie zuvor so gut gespielt zu haben wie jetzt.
Morgen wird Younes El Aynaoui gegen den Amerikaner Andy Roddick versuchen, zum ersten Mal in seiner Karriere das Halbfinale eines Grand-Slam-Turniers zu erreichen. Und wenn er wieder so eindrucksvoll spielt, dann haben auch die Leute zu Hause in Marokko was davon: Für jedes Ass spendet er einer Stiftung, die den Namen seines Königs, Mohammed VI., trägt, 100 amerikanische Dollar.