: Neuer Ärger beim chinesischen Riesenstaudamm
Mit aller Gewalt setzt China Dreischluchtenstaudamm durch, 640.000 Menschen umgesiedelt, Proteste unterdrückt, Demonstranten verhaftet
BERLIN taz ■ Verzweifelte Betroffene, unterdrückte Proteste und massive Einschüchterungen: Das ist das Bild, das die US-Umweltorganisation „International Rivers Network“ (IRN) aus Berkeley von 640.000 Menschen zeichnet, die bisher für Chinas Dreischluchtenstaudamm umgesiedelt wurden.
Seit November 2002 wird der Fluss Jangtse gestaut. Noch viel mehr Menschen werden in den kommenden Monaten umgesiedelt. Rund 1,2 bis 1,9 Millionen Menschen sollen dem Stausee weichen müssen, der in Zentralchina 140 Städte und zahlreiche Dörfer überfluten wird.
Die Lösung des Umsiedlungsproblems sei das Hauptkriterium für den Erfolg des Projekts, hatten Chinas Politiker immer wieder betont. Den Umzusiedelnden solle es hinterher besser gehen als vorher, hieß es. Sie sollten größzügig entschädigt werden. Das IRN beauftragte jemanden, der das Projekt über mehrere Jahre versteckt beobachtete, einen Zwischenbericht zu schreiben. Der Autor mit dem Pseudonym Yi Ming reiste in fünf betroffene Bezirke entlang des Flusses und suchte Umsiedlungsstandorte auf, darunter auch solche, die von der Regierung als modellhaft dargestellt werden.
Der Bericht ist ernüchternd. Das Leben vieler Umgesiedelter habe sich verschlechtert. „Von Anfang an hat die Regierung ihre Fähigkeit überschätzt, neue Arbeitsplätze zu schaffen und Land zur Verfügung zu stellen“, so das Fazit. „Der Großteil der städtischen Bevölkerung ist nicht in der Lage, die angebotenen neuen Häuser zu bezahlen.“ Es gebe zahlreiche Hinweise auf mit dem Projekt verbundene Korruptionsfälle. Viele Umgesiedelte seien frustriert wieder in ihre alte Heimat zurückgekehrt und warteten jetzt auf die Überflutung. Immer wieder gebe es Proteste: Petitionen, Demonstrationen, Straßenblockaden. Die Behörden gingen jedoch mit repressiver Gewalt gegen friedliche Demonstranten vor. So seien zum Beispiel im Dorf Yaowan bei der gewaltsamen Auflösung einer Straßenblockade zwölf Personen verhaftet worden. Drei mutmaßliche Drahtzieher hätten Gefängnisstrafen von fünf und zwei Jahren Haft erhalten. Der Bericht beschreibt ein Klima der Angst. Viele Gesprächspartner hätten ihren Namen nicht nennen wollen.
Als Konsequenz aus dem Bericht fordert IRN zusammen mit den deutschen Umwelt- und Entwicklungsorganisationen Urgewald und Weed den Stopp der Umsiedlung und der Flutung des Staubeckens, bis die Probleme gelöst seien. Benötigt werde eine unabhängige Beschwerdestelle für die Betroffenen sowie eine Beobachtung der Umsiedlungen durch unabhängige Fachleute. Wenn China ausländische Experten zur Überprüfung der Baustandards einlade, müssten die auch die Umsiedlung beobachten können. Vor allem sei das eine Pflicht der ausländischen Exportkredit- und Bürgschaftsbanken, die mit insgesamt über 1,4 Millarden Dollar an dem Projekt beteiligt sind. Aus Deutschland sind dies die bundeseigene Hermes-Kreditversicherungs AG und die Kreditanstalt für Wiederaufbau. SVEN HANSEN