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Archiv-Artikel

Tabulose Spiele mit Arbeitslosen

Bundeskanzler Schröder will Gespräche zum Bündnis für Arbeit „ohne Tabus“. Inzwischen hat sich der Streit ausgeweitet – mit neuen Kontrahenten und neue Themen. BDI-Präsident fordert mehrere Nullrunden für Rentner, Regierung dementiert

von BARBARA DRIBBUSCH

Konkretes ist nicht geplant, aber geredet wird viel. Kurz vor Sondierungsgesprächen über ein neues „Bündnis für Arbeit“ warb Bundeskanzler Gerhard Schröder gestern für die Gesprächsrunde mit Arbeitgebern und Gewerkschaften. Es gehe darum, sich ein Paket „ohne Tabus“ vorzunehmen.

Schröder vermied jedoch eine Aussage darüber, ob auch die Tarifpolitik zum Thema in neuen Bündnisgesprächen wird. Der Chef der Gewerkschaft IG Chemie, Hubertus Schmoldt, hatte sich in einem Interview mit der Welt bereit erklärt, im Bündnis für Arbeit auch über Tarifpolitik zu reden. Das wünschen sich die Unternehmer, der Deutsche Gewerkschaftsbund (DGB) lehnt dies jedoch ab.

„Es geht um eine Neudefinition von Regeln auf dem Arbeitsmarkt und in der Wirtschaftspolitik“, so der Kanzler zum „Bündnis für Arbeit‘“. Ein Termin für ein Bündnistreffen steht noch nicht fest. Michael Rogowski , Präsident des Bundesverbandes der Deutschen Industrie (BDI), empfahl denn auch vorsorglich vor Journalisten, das Thema „tiefer zu hängen“. Man müsse über das „Bündnis für Arbeit“ erst mal „außerhalb der Öffentlichkeit“ verhandeln.

Konkreter war der allgemeine Schlagabtausch gestern beim Thema Kündigungsschutz. Rogowski begrüßte den Vorstoß von Bundeswirtschaftsminister Wolfgang Clement (SPD), den Kündigungsschutz zu lockern. Die geltenden Regelungen seien ein „unkalkulierbares Risiko“ für die Betriebe. Unternehmer müssten sich mit einem Mitarbeiter darauf verständigen können, dass man statt des Kündigungsschutzes von vorneherein eine Abfindung anbietet.

Gewerkschaften und Teile der SPD protestierten weiter gegen einen Abbau des Kündigungsschutzes. Der Chef der Gewerkschaft IG BAU, Klaus Wiesehügel, sprach von „abstrusen Vorschlägen“ des Wirtschaftsministers. Er gehe davon aus, dass die SPD „noch sozialdemokratisch genug“ sei, um den Vorstoß zu stoppen. Bundesfamilienministerin Renate Schmidt (SPD) geißelte die Vorschläge Clements als „Gespensterdebatte“. Es sei nicht einzusehen, warum Arbeitnehmer „in dauernder Unsicherheit“ leben sollten, so Schmidt zur Berliner Zeitung. Schmidt erklärte, die neuen Regelungen zur Leiharbeit und zur Befristung von Arbeitsplätzen seien „gute Alternativen“ zum Abbau des Kündigungsschutzes. Clement hatte vorgeschlagen, den Kündigungsschutz in Betrieben mit mehr als fünf Beschäftigten schrittweise zu lockern. Danach soll in Betrieben mit fünf Mitarbeitern wie bisher kein Kündigungsschutz gelten. Der sechste und siebte und alle weiteren neu eingestellten Mitarbeiter würden laut Clement jedoch Kündigungsschutz genießen.

Der nordrhein-westfälische Wirtschaftsminister Harald Schartau (SPD) entwickelte gestern eine weitere Variante. Danach sollen Mitarbeiter über 45 Jahre, wenn sie neu eingestellt werden, von der Sozialauswahl freigestellt werden, so Schartau in einem Gespräch mit der Deutschen Presse-Agentur. Bei schlechterer Auftragslage könnten diese Älteren dann als erste wieder auf die Straße gesetzt werden. Regierungssprecher Bela Anda beendete gestern jedoch die Spekulationen. Eine „grundlegende Änderung“ des Kündigungsschutzes sei nicht geplant.

BDI-Chef Rogowski hatte jedoch noch weitere Vorschläge: Um die Rentenversicherung zu sanieren, sollten die Rentenerhöhungen „mal ein, zwei, drei Jahre“ ausgesetzt werden, schlug der BDI-Chef vor. Ein Sprecher des Bundessozialministeriums erklärte jedoch, die Rentenanpassung werde „nicht verschoben“, sie werde „auch nicht ausgesetzt“.