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Archiv-Artikel

bürgerentscheid Wie man wählt, ohne zu wählen

Seit Sonntag ist klar: In Berlin kann man wählen, ohne zu wählen. Weil es so schön ist, wiederhole ich das noch einmal: In Berlin kann man wählen, ohne zu wählen. Ich war dabei. Ich habe meine Stimme abgegeben, ohne ein Kreuz zu machen.

So geschehen, als es um den Bürgerentscheid ging. Alle Wahlberechtigten im Bezirk Mitte konnten sich dazu bekennen, dass sie gegen die Parkraumbewirtschaftung sind. Dass sie dafür sind, dass jederzeit und überall in der Mitte der Stadt selbstverständlich Standfläche für des Autofahrers Auto zur Verfügung gestellt werden. Kostenlos und groß genug noch für die längsten Schlitten.

Aus meiner Sicht: niemals!

Aus meiner Sicht ist Parkraumbewirtschaftung zwar nur ein Gänseschrittchen dahin, dem Auto weniger Raum in Welt, Umwelt und Gesellschaft zuzubilligen, aber immerhin. Ganz klar: Ich bin für Parkraumbewirtschaftung. Und wenn meine Stimme dazu gefragt ist, dann muss ich sie abgeben. Fragt sich nur, wie?

Niemand soll glauben, dass ich nicht nachgedacht hätte, um zu entscheiden, dass ich wähle, ohne zu wählen. Natürlich wurde die Logik herangezogen, das Für und Wider erwogen, wurden Chancen berechnet, und – ganz wichtig – die Küchentischpsychologie bemüht.

Autofahrer zwingen dazu, Küchentischpsychologie zu bemühen. Denn klar ist: Wenn es um das erweiterte Selbstobjekt der Autofahrer geht, diese Blechkiste mit Hubraum und PS, in die sich nicht wenige zwängen, um ihre Potenz zu stärken, dann reicht es, einmal von Ich, Überich und Es gehört zu haben, um zu wissen, dass das Es dieser Autofahrer, die ohne Auto nichts sind, gleichzeitig ihr Ich und Überich ist. Und damit basta.

Die, die meine Stimme wollten, um die Parkraumbewirtschaftung zu kippen, denen unterstelle ich, dass sie zur Riege Null-Auto-null-Ich gehören.

Nun allerdings gibt es ein Problem. Von den 215.000 Wahlberechtigten in Mitte müssen 15 Prozent, also etwa 32.000 Leute zur Wahl gehen. Dann gewinnt, wer die meisten Stimmen hat.

Küchenpsychologisch gesehen, war klar: Die Mitte-Bewohner, die statt Pupille ein Autoemblem im Zentrum ihres Augapfels haben, werden auf jeden Fall abstimmen. Die, für die das Auto keine heilige Kuh ist, werden aber möglicherweise gar nicht zur Wahl gehen. Und dann gibt es noch das Heer derer, die den Wahlzettel sowieso für Werbung halten.

Voraussehbar also war: Die Mehrheit der abgegebenen Stimmen wird gegen Parkraumbewirtschaftung sein und nicht dafür, so wie ich. Ihnen wird die Suppe nur versalzen, wenn weniger als 15 Prozent ihre Stimme abgeben.

Und so saß ich nachmittags um drei auf dem Sofa und fragte mich: wählen oder nicht wählen? Denn es könnte sein, dass ich mit „Nein“ stimme, meine Stimme aber die entscheidende wäre, damit die Parkraumbewirtschaftungsabschaffer das Quorum erreichen. Oder spekuliere ich darauf, dass zu wenig Leute abstimmen, und gewinne, indem ich fern bleibe?

Ich habe mich fürs Fernbleiben entschieden. Denn die Wahlbeteiligung lag um drei nachmittags noch unter fünf Prozent. Und wer einmal aus dem Haus war an dem schönen Tag, der schafft es bestimmt nicht mehr pünktlich ins Wahllokal. Ich habe gewählt, ohne zu wählen.

Und was ist die Moral von der Geschicht? Das Bürgerentscheidverfahren muss geändert werden. Denn es geht nicht, dass ich, wäre mit meiner Neinstimme das Quorum erreicht worden, dafür gesorgt hätte, dass die Jastimmen siegen. WALTRAUD SCHWAB