: Kompromisslos noisig
Don‘t mess with Texas: „The Paper Chase“ kommen aus Dallas, wo es den Kennedy-Mythos, viel Konservatismus und seltsamerweise einige künstlerische Nischen gibt
John Congleton, Gitarrist und Sänger von The Paper Chase, lebt als Musiker und Produzent in Dallas, Texas. „Die wohl einzige Stadt in ganz US-Amerika, in der der Mythos des Kennedy-Attentats noch verteidigt wird“, erklärt er mir am Telefon. Er mag den Ort trotzdem, auch wenn der Konservatismus hier eine Festung innehat.
„Der Vorteil an diesen konservativen Strukturen ist, dass die Kunst ein Eigenleben führen kann. Niemand interessiert sich dafür, was du tust. Es stößt sich auch niemand dran. Denn es bilden sich Enklaven, in die niemand eindringt, der damit nichts zu tun hat. Es gibt hier eine gute Szene von Musikern und Künstlern, und auf der anderen Seite diese Typen, die nicht einmal im Bett ihren Statson abnehmen. Sehr rudimentär lebende Menschen mit simplen aber einleuchtenden Lebensmaximen. Auch in meiner Familie. Rednecks eben. Was ich an Dallas wirklich skurril finde, ist dieses Kennedy-Ding. Lee Harvey Oswald soll ja angeblich von einer Bücherei aus auf den Wagen des Präsidenten geschossen haben. Du kannst hier sogar das besagte Gebäude besichtigen, allerdings darfst du auf dem Stockwerk, auf dem er damals gewesen sein soll, nicht bis an das Fenster herantreten und rausgucken. Da ist eine Absperrung. Warum? Weil sich natürlich jeder dort davon überzeugen könnte, dass Oswald von dort aus niemals den Wagen ins Visier hätte nehmen können. Es ist lächerlich.“
In diese Realität der Widersprüchlichkeiten hinein platzte mit dem The Paper Chase-Album Hide The Kitchen Knives spät im Jahr 2002 eine musikalische Horrortour durch zwischenmenschliche Tragödien und gewalttätige Visionen. Das Konzept des Albums sowie das der gesamten Band basiert auf Verunsicherung und akustischem Versteckspiel, ebenso lauten wie virtuosen Gitarren und kompromisslos noisiger Härte. Die dabei markierten Punkte auf der musikalischen Landkarte lassen sich schlecht in einem Satz zusammenfassen. Sie entsprechen jedoch der Linie, an der sich das Alternativ-Label Southern Records seit Jahren erfolgreich abarbeitet – nicht von ungefähr produzierte Congleton beispielsweise die letzte Platte der 90 Day Men.
Sein eigenes Bandprojekt hebt die Latte - auch live – ein paar Zentimeter höher, in jene Gefilde, in denen sich Shellac, Slint oder Gang Of Four ein Denkmal erspielt haben. In den USA, wo The Paper Chase bereits oft unterwegs gewesen sind, trägt die Begeisterung der Anhängerschaft mitunter seltsame Früchte. „Es ist unfair unseren Vorbands gegenüber, aber unsere Support-Acts werden regelmäßig von unseren total ignoranten Fans niedergebrüllt. Es ist manchmal beängstigend, was für Leute zu unseren Konzerten kommen. Aber sie sind alle unglaublich tief in der Musik, wenn wir dann spielen. Ein irres Gefühl. Wir werden sehen, wie das in Deutschland wird.“ Nun ja, bei ihrer Deutschlandpremiere werden sie sich auf kleinere Brötchen einstellen müssen. Aber was nicht ist, wird noch werden. Da bin ich mir ziemlich sicher. Arme Vorbands ...
Carsten Sandkämper
Sonnabend, 21 Uhr, Hafenklang