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Archiv-Artikel

Pfeilgerade pleite

Kita-Träger fürchten Planungschaos bei Gutscheinsystem. Diakonie und AWO wollen zwölf Monate Aufschub bei Bewilligungskriterien

von KAIJA KUTTER

Viereinhalb Stunden befasste sich der Jugendausschuss der Bürgerschaft am Dienstagabend mit dem Kita-Gutscheinsystem. Im Publikum saßen Eltern mit Protestschildern, zu Füßen der Abgeordneten liefen kleine Kinder herum. Großväterlich zurückgelehnt lauschte auch der zuständige Senator Rudolf Lange (FDP) der Anhörung zu.

Die Auskünfte der Kita-Trägervertreter machten deutlich: Es ist wenige Monate vor der großen Kita-Reform noch vieles ungeklärt. Ganz neu ist zum Beispiel der Streit um den Tarifausgleich. Die Stadt hatte vor einem Jahr versprochen, Einsparungen werde es im Kita-Bereich zum Systemwechsel nicht geben. Nun steht eine drohende Null-Runde im Raum – offiziell begründet mit dem Tarifabschluss im öffentlichen Dienst.

Hauptstreitpunkt sind immer noch die Bewilligungskriterien. „Es wird eine ganze Reihe von Bevölkerungsgruppen künftig keine Kinderbetreuung mehr bekommen“, sagt Volker Schmidt von der Arbeiterwohlfahrt (AWO). Kita-Plätze aus erwerbsarmen Stadtteilen wie St. Pauli würden in bessere Gegenden wie Poppenbüttel verlagert. Nach einer Erhebung unter 1850 Kindern in 24 AWO-Kitas haben, so Schmidt, 27 Prozent mit Leistungskürzungen zu rechnen. 17 von 20 Kindern in einer 8-Stunden-Kita auf St. Pauli haben danach künftig nur noch Anrecht auf Halbtagsbetreuung. Für diese Kinder bekommt der Träger nur halb so viel Geld.

Martin Schaedel, als Chef der städischen Vereinigung zuständig für 173 Kitas in der Stadt, rechnet offenbar noch mit einer Änderung der Kriterien: Trotz mehrmaliger Nachfragen wollte er nicht beziffern, was das Gutscheinsystem für die Vereinigung an Risiken birgt. Er hoffe, dass zum Beispiel der Punkt „dringender sozialer Bedarf“ nicht so eng ausgelegt werde, dass erst „der Vater im Knast und die Mutter in der Drogenklinik“ sein müsse.

Schaedel hielt der AWO vor, das Angebot nicht flexibel genug zu handhaben. Die Chancen der großen Vereinigung, solche Risiken abzufedern, seien „um Klassen besser“, hielt Schmidt ihm entgegen. Bei einer Kita mit 100 Kindern könne schon ein erfolgreiches Kündigungsschutzverfahren zur Zahlungsunfähigkeit führen. Schmidt: „Das wird pfeilgerade auf uns zukommen, wenn wir die Planungsphase nicht verlängern.“

Die Träger offenbarten bei der Anhörung auch ihre eigenen Überlebensinteressen: Sie wollen, dass die Bürgerschaft das Kita-Gesetz schnell verabschiedet, damit bis zum 1. Juni feststeht, welche Kinder weiter betreut werden. Vertreter von Diakonie, AWO und Rotem Kreuz forderten zudem, alle derzeit betreuten Kinder über August hinaus noch 12 Monate auf ihren Plätzen zu belassen. „Dann könnten wir in Ruhe Lösungen suchen, die verhindern, dass Kita-Plätze verschwinden“, sagte Uwe Mühling von der Diakonie. Denn neben allen Fragen gibt es auch noch die, wie denn die Kita-Plätze in Poppenbüttel entstehen, die in St. Pauli abgebaut wurden.