: „Er war die Spinne auf unserer Haut“
Joachim Ritzkowsky, der „Obdachlosenpfarrer“ aus Kreuzberg, ist tot. Gestern war die Beerdigung. Mindestens tausend Menschen kamen
Am 11. Januar ist Joachim Ritzkowsky, der „Obdachlosenpfarrer“, 65-jährig gestorben. Gestern war die Trauerfeier in der Heilig-Kreuz-Kirche, zu der tausend Menschen kamen. In sich versunken stehen sie im Kirchenraum, in der geöffneten Lobby, auf allen Emporen. Punker mit Hunden neben Polizisten, Treberinnen neben Mönchen, Wagenburgler neben den „Kleinen Schwestern Jesu“, Bettler neben Politikern.
Walter Momper, Präsident des Abgeordnetenhauses, ist da. „Ritzkowsky, ein toller Mensch“, sagt er. Und Heidi Knake-Werner, die Senatorin für Soziales und Gesundheit: „Solche Menschen können viel mehr geben und bewirken, als wir in der Verwaltung je erreichen können.“ Sichtlich bewegt auch Cornelia Reinauer, die Bürgermeisterin von Friedrichshain-Kreuzberg, und Wolfgang Wieland von Bündnis 90/ Die Grünen. Sie alle sagen, was die Obdachlosen, die rauchend vor der Kirche stehen, darunter Hotte und Dieter vom Obdachlosentheater „Die Ratten“, meinen: „Den Pfarrer kann niemand ersetzen.“ „Er hat sich den Arsch aufgerissen.“ „Er war die Spinne auf unserer Haut.“ „Der hat das so geil rübergebracht.“ „Und immer einen Rat parat.“ Die Obdachlosen haben sich herausgeputzt, um den Pfarrer auf seinem letzten Weg zu begleiten.
Obdachlosigkeit ist wie Sterben im Leben. Diesen Gedanken hat der Pfarrer der Evangelischen Kirchengemeinde Heilig-Kreuz-Passion die letzten zehn Jahre vertreten. 1990 kam er als Seelsorger nach Kreuzberg, an eine Kirche, die vor allem für ihr Engagement für ausländische Mitbürger bekannt war. Vorher war Ritzkowsky in Zehlendorf. Dort gab es nicht, was er hier erlebte: dass Menschen auf der Straße sterben. Wie Hans Breitfeld, der in der öffentlichen Frauentoilette auf dem Mittelstreifen der Gneisenaustraße lebte. So krank, dass er bereits von Maden zerfressen war. Als sich Ritzkowsky für ihn einsetzen wollte, merkte er, dass es keinen Ort für Breitfeld mehr gab. Das hat den Pfarrer, der mit hoher Überzeugungskraft ausgestattet war, sich in die Obdachlosenarbeit stürzen lassen. Er gründete eine Wärmestube, die zum Ausgangspunkt für weitere Wohn-, Gesundheits- und Beschäftigungsprojekte für Obdachlose wurde, bis hin zur Vernetzung von 70 in diesem Bereich tätigen Initiativen, egal welchen Trägers.
Ritzkowsky wollte den direkten Kontakt mit den Obdachlosen. Er wollte ihr Vertrauen. Und weil er es hatte, hat er sich für sein Engagement nicht in der Öffentlichkeit präsentiert. Es hätte ihn, so argumentierte er, auf eine Plattform über die Betroffenen gestellt. In der Wärmestube waren sie seine Gäste. Er hat den Kaffee ausgeschenkt. Ein anderer Ansatz seiner Arbeit: Alkoholiker können in Wohnprojekten unterkommen, ohne dass sie einen Entzug machen müssen. Resozialisierung, so meinte er, sei in vielen Fällen ein hohler Begriff, gebe es doch Menschen, die die Gesellschaft gar nicht mehr als Teil ihrer Gemeinschaft begreifen wolle.
Das letzte Projekt des Pfarrers: eine Grabstätte für Obdachlose. Auf dem Friedhof am Mehringdamm in Sichtweite der Kirche gibt es sie nun. Platz für dreißig Urnen ist dort. Unter ihnen wurde Joachim Ritzkowsky zur letzten Ruhe gebettet. Er ist an Krebs gestorben, obwohl er noch so viel vorhatte: reisen, malen, Musik machen. Seine Krankheit hat ihn in Widerstreit zu Gott gebracht, wird auf der Trauerfeier berichtet. Er habe sich aufgelehnt gegen eine Erfahrung, die er doch immer gepredigt hat: dass Gott der Herr über Leben und Tod sei.
„Paradiso“ ist auf der Plastiktüte zu lesen, die eine Trebegängerin bei der Trauerfeier dabeihat. „Fuck your hell“ steht auf der Jacke eines Punkers, der sich am Rande der Beerdigung hält.
WALTRAUD SCHWAB