: Philosophie in der Garage
Der Schweizer Künstler Thomas Hirschhorn spielt mit Modelleisenbahnen zwischen gigantischen Pilzen und Bildern von aktuellen Kriegsschauplätzen. Als Reiselektüre dienen explosive Texte des Berliner Philosophen Markus Steinweg
Garagen sind nicht nur heilige Orte des Autokults, sondern auch Mehrzweckräume par excellence. Diese Anhängsel des Wohlstands dienen ja oft als Fluchtort für Modellbau, Bastelwahn, Teenager-Disco, Selbstmord und sogar Bombenbau. Auch rebellische Musiker und bekannte Maler konnten hier ihren Inspirationen fruchtbar nachgehen. Wenn also Thomas Hirschhorn mit betongrauen Wänden aus Pappe und mit einem Extraboden zwei Räume der Galerie Arndt & Partner in eine „Doppelgarage“ komplett umwandelt, greift er auf eine weitreichende Multifunktionalität zurück, die schon Berührungspunkte mit der Kunstgeschichte aufweist.
Zwischen seinen klassischen Requisiten wie Werkzeugen, Aufklebern von französischen HipHop-Labels oder Bildern nackter Frauen füllen witzige Modellbauten und andere Hirschhorn’sche Bastelarbeiten die „Doppelgarage“. Von zahlreichen Neonröhren fällt grelles Licht und an jeder hängt ein Stück Klebeband mit Zeitungsbildern, die sich auf ihm wie Fliegen gefangen haben. Auf vier großen Tischen fahren pausenlos Modelleisenbahnen bekannter Nordamerikanischer Bahngesellschaften in einer Pappkartonlandschaft herum, wo anscheinend nur noch riesige Pilze und Bilder vom 11. September und seinen Folgen wachsen können. Dass dabei – dem Original getreu – die Wörter „opportunity, responsibility, community“ auf dem Modell einer Lokomotive der „Amtrak Superline“-Gesellschaft zu lesen sind, passt perfekt zum Thema.
In der „Doppelgarage“ wird aber nicht nur Welttechnik gespielt, sondern auch sehr fleißig gearbeitet. Sperrig und auf Böcke gestellt, wartet ein restlos mit Goldpapier bedecktes, riesiges Ding darauf, abgeholt zu werden. Viele sehen in ihm eine Bombe oder eine Rakete, es könnte aber auch ein überdimensionierter, goldener Kothaufen oder ein Megazäpfchen für unsere kranke Welt sein. Dahinter hängen in vier Holzgestellen kuriose, hohle Formen über dem Boden, die jeweils mit einem kleinen Globus verbunden sind. Sie erinnern an Insekten- oder Vogelnetze und könnten mit den Schutzbedürfnissen einer Bevölkerung in Verbindung gebracht werden, die durch Gewalt, Zerstörung und Ressentiment zur Obdachlosigkeit gezwungen wurde. Dazu passt, dass vor jedem Holzgestell ein kleines Bild von einem im Krieg zerstörten Haus angebracht ist. Als Pendant steht gegenüber eine nicht fertigt gebaute Mauer, als Zeichen eines neuen Anfangs, wofür schwere Baumaterialien in einem Eckregal auf ihren Einsatz warten.
In diesem streng gedachten Sammelsurium tauchen ständig verstreute Wörter, Satzteile und Textpassagen in unterschiedlichen (Schrift-)Größen auf: „das philosophische Subjekt sucht die Begegnung mit dem Realen“, „ist getan“, „die elenden“, „mission“, „denkbar“ oder noch „wie Deleuze es nennt“. Es sind Auszüge aus 28 kurzen „integrierten Texten“, die der Philosoph Markus Steinweg für „Doppelgarage“ schrieb und die an der hintersten Wand in voller Länge zu lesen sind. Seinen Beitrag präsentiert Steinweg selbst als „Texte über Nietzsche hinaus“. Obwohl ihre Lektüre viel Zeit in Anspruch nimmt, sind sie eine fruchtbare Herausforderung. „Lesen“, steht dort, sei eigentlich „eine Konflikterfahrung, die das Subjekt der Lektüre in unbekannten Zonen trägt“.
Dafür wirkt Steinwegs philosophische Reflexion ermutigend und bereichert die Mischung aus geistiger Wu(ch)t und kämpferischer Energie, die aus allen Ecken der „Doppelgarage“ sprüht. Mit dieser Arbeit beweist Hirschhorn, dass seine Position als Shooting Star auf dem Kunstmarkt ihn nicht daran hindert, weiter und unermüdlich für die Condition humaine zu kämpfen. Als gälte es, die Gefahren und Zwänge, die dieser neuen Position innewohnen, zu beschwören, zeigt „Neighbours“, eine kleinere Arbeit bei Arndt & Partner, die halb verbrannten Werke von Matisse und Picasso, die überall zerstreut in den Ruinen zweier zerbombter Villen liegen, die wohl Kunstsammlern gehört haben.
YVES ROSSET
Galerie Arndt & Partner, Zimmerstr. 90/91, bis 20. Februar, Di–Sa, 11–19 Uhr