Pragmatischer Hygiene-Freak

Er erschuf für Hamburg und andere europäische Städte eine moderne Kanalisation und sorgte dafür, dass die Armen kostenfrei baden konnten: Dem Ingenieur und Stadtplaner William Lindley, der vor 200 Jahren geboren wurde, widmet das Hamburgmuseum eine große Ausstellung

Nach dem Brand von 1842 hatte William Lindley sofort Wiederaufbau-Pläne. Das macht ihn bis heute verdächtig

VON PETRA SCHELLEN

Ob William Lindley ein Idealist oder ein gewiefter Geschäftsmann war, lässt sich schwer entscheiden.Viel spricht für Ersteres, lässt sich – abgesehen von Wohlstand und Renommee – doch wenig Eigennutz nachweisen, wenn man die Vita des englischen Ingenieurs und Städteplaners betrachtet, der 27 Jahre lang in Hamburg plante und arbeitete.

Vor 200 Jahren wurde er geboren. Das Museum für Hamburgische Geschichte – kurz Hamburgmuseum – hat ihm deshalb eine Ausstellung gewidmet, und die trifft mit dem Namen Lindley einen ganz besonderen Nerv. Denn neben aller Anerkennung des Lindley‘schen Reformertums ist den Hamburgern immer ein kleines Misstrauen geblieben. Dass William Lindley nämlich drei Tage nach dem schweren Brand in der Hamburger Innenstadt von 1842 einen kompletten Wiederaufbauplan vorlegte, den der Senat weitgehend genehmigte das hat ihn nachhaltig verdächtig gemacht. Denn für die Umsetzung von Lindleys Visionen war das jetzt freie Viertel extrem gut geeignet. Da wurde von Brandstiftung, von verschiedenerlei Komplotts gemunkelt. Bewiesen wurden diese Thesen nie. Tatsache ist aber, dass Lindley die Chance nutzte, den Wiederaufbau eines Elendsviertels mit ebenso elenden hygienischen Verhältnissen zu verhindern – Dank seiner Wachheit für technische Neuerungen und seiner sozialreformerischen Ideen.

Sein Thema war: das Wasser. Trink- und Abwasser im Besonderen. Das hing unter anderem mit seiner Affinität zur englischen Hygienebewegung des ausgehenden 19. Jahrhunderts zusammen. Ärzte, Städtebauer und Sozialreformer setzten sich damals für private und öffentliche Gesundheitspflege ein; 1883 entdeckte Robert Koch den Cholera-Erreger und bewies, dass Epidemien nicht über die Luft, sondern über verunreinigtes Wasser übertragen würden. William Lindley war überzeugt, dass man auch den ärmeren Schichten, die sich keinen privaten Brunnenanschluss leisten konnten, sauberes Trinkwasser verschaffen und außerdem das Abwasser davon trennen und möglichst rückstandsfrei abtransportieren musste. Bis dato hatte man in Hamburger Armenvierteln Abfälle auf der Straße oder in die Fleete entleert, die im übrigen beträchtlich stanken. Lindleys Idee: stattdessen Siele anzulegen, sie mit jedem Haus zu verbinden, und das alles so tief, dass Abwässer und Ausscheidungen aus Haushalten und Gewerbe mit dem fließenden Wasser direkt aus der Stadt geschafft werden konnten.

Ein solches, die komplette Innenstadt durchziehendes System plante und baute Lindley in Hamburg nach dem 1842er Brand, nur unwesentlich gestört durch die Sparsamkeits-Diskussionen des Hamburger Senats und verschiedene technische Einwände. Irgendwann, heimlich, begann man ihm dann dankbar zu sein für seine Sturheit, ist es gewissermaßen noch heute, denn immerhin drei der insgesamt 48 Hamburger Siel-Kilometer werden immer noch genutzt.

Aber natürlich löste die Abwasser-Entsorgung nur die eine Hälfte des Problems: Auch die Trinkwasserversorgung wollte Lindley verbessern. Schluss musste sein mit den bis dato existenten sieben verschiedenen Hamburger Wasserleitungssystemen, die verschiedenen Genossenschaften gehörten und zu denen nicht alle Zugang hatten. Lindley wollte eine neue, zentrale Wasserversorgung, und auch da kam ihm der Brand von 1842 zupass: Der hatte unter anderem wegen der unzureichenden Wasserversorgung im Viertel nicht rechtzeitig eingedämmt werden können. Also konnte Lindley leicht argumentieren, dass die Wasserversorgung zentral, städtisch und effektiv sein müsste. Auch dies – eine zentrale Trinkwasserleitung wurde bewilligt. In Hamburg-Rothenburgsort baute Lindley eine Anlage samt Turm, in die das dort noch recht saubere Elbwasser eingespeist wurde.

Doch auch das genügte dem englischen Stadtplaner nicht. Lindley war Perfektionist, und er war gründlich: Ohne die Chance zur Hygiene, erklärte er dem Hamburger Senat, „verwildere“ das Volk. Denn körperliche Hygiene ziehe moralische nach sich, und wer im Schmutz lebe, werde leicht zum Verbrecher. Das wiederum treibe die Kosten für Zuchthäuser in die Höhe. Außerdem seien aufgrund hygienisch unzureichender Lebensbedingungen Aufstände zu befürchten, und das wollten die Senatoren ja wohl nicht. Zu guter Letzt machte Lindley den sparwütigen Senatoren Angst vor Epidemien; auch deren Ausbreitung könnte durch Reinlichkeit extrem gemildert werden. Kurz und gut: Er wollte öffentliche Badeanstalten für die ärmere Bevölkerung. Dass Hamburg dann im Jahr 1855 mit der Eröffnung der ersten Badeanstalt für „Unbemittelte“ eine Pioniertat beging, lässt sich allerdings nicht behaupten: 13 solcher Bäder, in denen die Menschen auch Kleidung waschen konnten, gab es damals bereits in London. Doch wenn auch verspätetet, so schaffte Hamburg immerhin doch, was in der Ausstellung des Hamburgmuseums als „wichtiger Schritt auf dem Weg zur modernen Groß- und Weltstadt“ bezeichnet wird – eine Entwicklung, die sich im Zuge der Industrialisierung zeitgleich in etlichen europäischen Großstädten vollzog. Lindley bot hier Lösungen und profitierte ganz konkret: Sein Siel-System fand großes Interesse und wurde für Frankfurt / Main angefragt; in Budapest und Warschau plante er Kanalisationsanlagen.

Lindley war ein sozial kompetenter Pragmatiker, auch privat: Nach dem Tod seiner Frau schränkte er seine Berufstätigkeit zeitweilig ein, um sich um die Erziehung seiner drei Söhne zu kümmern, die später allesamt in seinen Projekten tätig waren. Sie führten vor Ort die Bauaufsicht, wenn der Vater in London weilte, planten später eigene Projekte. Sohn William Heerlein Lindley plante später die Wasserleitung im aserbeidschanischen Baku. Dass Vater William Lindley eher beiläufig zu seinem Hamburger Ruhm kam, verschweigt die Ausstellung nicht: Eigentlich sollte er – im Interesse einiger fortschrittlicher Kaufleute – bloß die Eisenbahnlinie von Hamburg nach Bergedorf planen. Ihre Eröffnung musste verschoben werden. Sie war für den 8. Mai 1842 geplant – den Tag des Brandes in der Hamburger Innenstadt.

Dass die Hamburger Ausstellung pragmatisch ist wie der Mann, dem sie gewidmet ist, versteht sich fast schon von selbst. Im Wesentlichen besteht sie aus Draufsichten und Untergrundplänen Hamburgs, Frankfurts und Warschaus – den drei wichtigsten Wirkungsstätten Lindleys. Dass Siele nachgebaut wurden, so groß, dass man durch sie hindurchgehen kann, wirkt fast ein bisschen archaisch, als stelle man Errungenschaften der alten Römer nach, die auch Wasserleitungen bauten und für die das ein ungleich größerer Schritt war. Lindleys Geburt liegt erst 200 Jahre zurück.

Themen wie Trinkwasserverbrauch und- qualität sind durchaus heutige Themen, das braucht die Ausstellung nicht extra dazu zu sagen. Es ist offenkundig.

Die Ausstellung ist bis 22. 2. 2009 im Hamburgmuseum zu sehen.