Politiker feiern Freundschaft

In Paris wurde gestern der 40. Jahrestag des deutsch-französischen Vertrages begangen. Im Élysée-Palast und im Schloss Versailles. Mit Präsident Chirac, Bundeskanzler Schöder, beiden Regierungen und 900 ParlamentarierInnen beider Länder

aus Paris DOROTHEA HAHN

Am Mittwochvormittag findet allwöchentlich im Pariser Élysée-Palast eine Kabinettssitzung mit dem Staatspräsidenten und der kompletten Regierung statt. Es ist ein Ritual hinter verschlossenen Türen. Gestern war die Sitzung doppelt so gut besucht wie sonst. Aus Anlass des 40. Jahrestages des deutsch-französischen Vertrags nahm erstmals eine komplette ausländische Regierung samt Kanzler daran teil. Die aus Berlin.

Die Stimmung sei gut gewesen, berichteten TeilnehmerInnen anschließend. Entspannt und freundlich. Nacheinander sprachen einE BerlinerIn und einE PariserIn aus demselben Ressort. JedeR in der Muttersprache. Zu Wort kamen unter anderem die MinisterInnen für Inneres, Verteidigung, Finanzen, Kultur und Soziales. Kanzler Schröder, der selbst kein Französisch kann, aber mit Präsident Chirac die Dreisprachigkeit in der Schule einführen will, ging mit gutem Beispiel voran. Er gab gestern zum Besten, Tochter Klara habe sich entschieden, Französisch als Fremdsprache zu wählen.

Bei der gemeinsamen Pressekonferenz, die Schröder und Chirac anschließend im Élysée-Palast abhielten, zeigten sich beide Männer lächelnd. Auf jede Journalistenfrage antwortete nur einer von ihnen, während der andere zustimmend nickte. Besonders einig zeigten sie sich in der Frage von Krieg und Frieden im Irak. Chirac sprach von einer „identischen Analyse und Vorgehensweise“. Krieg sei „immer das Eingeständnis eines Scheiterns“ sagte er, und „die schlechteste Lösung“. Schröder und er machten jede Entscheidung darüber von einer neuen Abstimmung im Weltsicherheitsrat abhängig.

Der ganze gestrige Tag in Paris stand im Zeichen deutsch-französischer Premieren und Symbole. Mittags speisten mehr als 900 – versetzt an den Tischen platzierte – deutsche und französische ParlamentarierInnen im Schlachtensaal des Schlosses in Versailles gemeinsam. Zum Kennenlernen vor ihrer ersten gemeinsamen Parlamentssitzung im benachbarten Kongresssaal. Gleichzeitig saßen – im Außenministerium in Paris – die beiden Regierungen sowie zahlreiche Ex-Regierungschefs bei Tisch. Kohl war auch dabei. Bloß Jospin hatte sich entschuldigt.

Die Radiosender lieferten 24-stündige Sonderprogramme über l’amitié. Besonders beliebt war das Thema der gemischten Paare, deren Zahl alljährlich steigt, sowie des unsäglichen Behördenkrams, den Deutsche und Franzosen, die im Nachbarland leben und arbeiten, dort überwinden müssen.

Die meisten französischen Zeitungen titelten am gestrigen Jubeltag euphorisch. Das Boulevardblatt Parisien bestätigte die Jubelfeier: „Wie wir uns lieben“. Und die liberale Libération titelte, als habe bereits eine staatliche Vereinigung stattgefunden. Einzig die kommunistische Humanité wagte leichte Skepsis gegenüber dem deutsch-französischen Alleingang: „Europa zu zweit?“ stand auf ihrem Titelblatt.

Nachmittags ging der staatliche Feiertag zur deutsch-französischen Freundschaft in Versailles weiter. Nach den Parlamentspräsidenten Jean-Louis Debré und Wolfgang Thierse kamen Kanzler Schröder und Präsident Chirac zu Wort. Für Letzteren, der vom Volk gewählt ist, war es das erste Mal und eine ebenfalls historische Ausnahme in der Fünften Republik, dass er in seiner Funktion als Staatspräsident zu den ParlamentarierInnen sprach. Schröder, der sich im Élysée-Palast noch nüchtern gegeben hatte, hielt nachmittags in Versailles eine Rede, die vielen Franzosen ins Herz gegangen sein dürfte. Schröder sprach von der „Erfolgsgeschichte“ des Vertrages und von dem „großen Versöhnungswerk“ zwischen Frankreich und Deutschland. Dann ging er in die Geschichte, konstruierte literarische Paare, wie Voltaire und Kant, sowie Heinrich Heine – auf Französisch: „Henri“ – und Madame de Staël. Sprach von den wechselvollen Ereignissen im Schloss Versailles, in dem 1871 ein deutscher „Diktatfrieden“ erfolgte und 1919 eine deutsche militärische Niederlage festgeschrieben wurde. Und in dem im Jahr 1789 die Deklaration der Menschenrechte verlesen wurde. Auf dem Höhepunkt seiner Rede rezitierte Schröder ein paar Zeilen aus dem ersten deutschen Chanson der französischen Chansonnière Barbara. Sie hatte es – mitten im Kalten Krieg – Göttingen gewidmet und auch so genannt.