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Archiv-Artikel

Rosetta darf nicht zu Wirtanen fliegen

Ein historischer Flug in die Urgeschichte der Entstehung des Sonnensystems musste gestrichen werden: Die neue Ariane V kann aufgrund eines Baufehlers den Satelliten nicht auf die lange Reise zu dem Kometen schießen. Und für den Start gab es nur ein kleines Zeitfenster

Von K.W.
Eine so anspruchvolle Weltraummissionen – hat bislang niemand gewagt Bremer Chemiker fanden einen Hinweis auf die Entstehung von Leben

taz ■ Es hätte eine der längsten Reisen der Menschheitsgeschichte werden sollen: Acht Jahre wäre der Satellit der Mission „Rosetta“ im All unterwegs gewesen, um dann im Jahre 2011 den Kometen Wirtanen zu erreichen und im Jahr darauf ein Landegerät mit wissenschaftlichen Instrumenten und einer Panoramakamera abzusetzen. Da auf Kometen der Zustand des Sonnensystems quasi „konserviert“ ist, der vor mehr als 4.600 Millionen Jahren geherrscht hat, versprechend sich Wissenschaftler von der Reise zu dem Kometen Aufschlüsse über die Entwicklung des Sonnensystems. Manche Wissenschaftler wie der Bremer Chemiker Uwe Meierhenrich gehen noch einen Schritt weiter: Für ihn gibt es deutliche Hinweise darauf, dass unter den chemischen Bedingungen der Kometen die lebensspendenden Aminosäuren entstanden sind. Es sei „eine der anspruchvollsten Weltraummissionen, niemand hat bislang ein solches Vorhaben gewagt“, hat der Wissenschaftsdirektor der Europäischen Weltraumorganisation (Esa), der Engländer David Southwood, über die europäische Kometenmission Rosetta erklärt.

Nun ist alles vorbei, vertagt, verschoben. Seitdem im Jahre 1993 die Esa-Mission beschlossen worden war, wird daran gearbeitet. Um den Wirtanen zu erreichen, hätte die Ariane-V-Trägerrakete mit dem Landegerät im Januar 2003 starten müssen. Denn der Weg durchs All zu Wirtanen ist weit, die Berechnung der Flugbahn schon ein kleines Kunststück: Der Komet hat einen Durchmesser von nur einem Kilometer und befindet sich in einer Entfernung von 600 Millionen Kilometern von der Erde. Um den Kometen zu erreichen, hätte Rosetta mit einem Vorbeiflug an Erde und Mars durch die Gravitation der nahen Himmelskörper „Schwung“ holen müssen. Der Fehlstart der „großen“ Ariane im Dezember hat die Esa aber dazu bewogen, das Projekt abzublasen – die Chance, Wirtanen zu erreichen, gibt es in den nächsten Jahrzehnten nicht mehr.

Die Analyse des Fehlstarts vom 11. Dezember hat Mängel aufgedeckt, an denen die beteiligten Firmen arbeiten müssen: Ein Leck im Kühlsystem der Schubkammern ist das Problem. Die gesamte Konstruktion der Kühlung soll nach diesem Fehlstart überprüft und verändert werden. Zwar sind die Bremer Astrium-Mitarbeiter nicht direkt an diesem Teil des Raketensystems beteiligt, der Rückschlag trifft sie aber genauso. Denn das erfolgreiche Modell „Ariane IV“, das deutlich arbeitsintensiver war als die neue Ariane V, wird am 11. Februar ihren letzten Start haben, neue Träger Ariane IV werden nach einem zwei Jahre zurückliegenden Beschluss nicht mehr gebaut. Derzeit gibt es im Angebot der Arianespace nur das „kleine“ Ariane-V-Modell.

Da das Rosetta-Projekt fast eine Milliarde Euro gekostet hat, hoffen die Wissenschaftler genauso wie die Esa-Verantwortlichen, dass ein vergleichbarer Komet gefunden wird, der irgendwann in den nächsten Jahren für einen von der Erde gestarteten Satelliten erreichbar ist. Über die Fortsetzung der Rosetta-Mission entscheidet die Esa-Ministerkonferenz Ende Mai in Paris.

„Rosetta“ hat ihren Namen von dem 1799 in Ägypten gefundenen „Stein von Rosetta“, dessen dreisprachige antike Inschrift einst dabei half, die ägyptischen Hieroglyphen zu entziffern. Nun soll Rosetta bei der Entzifferung dessen helfen, was die Kometen uns zu sagen haben. Die „schmutzigen Schneebälle“, wie sie einst der Astronom Fred Whipple nannte, bestehen aus Staub, gefrorenen Gasen und Wasser-Eis. Kommen sie auf ihren Bahnen in Sonnennähe, gasen sie durch die Sonnenstrahlung aus – und bilden so die von der Erde sichtbaren „Streifen“. Kometen sind Überbleibsel des frühen Sonnensystems und enthalten noch Urmaterie aus der Zeit vor der Bildung der Planeten.

Was haben Kometen mit irdischen Leben zu tun? „Aminosäuren, das ist das Stichwort“, holt Uwe Meierhenrich von der Uni Bremen zum chemischen Rundumschlag aus. Der Schritt vom Kometen zum Menschen ist astronomisch groß: Kometen sind die ältesten Reste einer gigantischen Staubwolke, aus der unser Sonnensystem vor rund 4,6 Milliarden Jahren entstand. Im Labor stellte Meierhenrich die chemischen Vorgänge bei der Kometenentstehung nach, „sozusagen im Reagenzglas“. Nach einem komplizierten Experiment war die Überraschung der Wissenschaftler perfekt: „Wir fanden 16 verschiedene Aminosäuren“, sagt Meierhenrich. Da einige von diesen komplexen Molekülverbindungen zum menschlichen Stoffwechsel gehören, liegt für die Forscher die Hypothese über den Zusammenhang zwischen Weltall-Chemie und der Entstehung von irdischem Leben auf der Hand. K.W.