Kultur macht keinen Staat

Die Feiern zum „Tag der Deutschen Einheit“ in Hamburg stehen unter dem Motto „Kulturnation Deutschland“. Das ist peinlich, denn: Entweder wurde der völkische Kontext übersehen. Oder es ist ein heimlicher Wille am Werk, der noch einmal das alte Projekt der kollektiven Identität beschwört

Bei den Feiern zum „Tag der Deutschen Einheit“ will sich der turnusgemäße Gastgeber Hamburg als „Kulturmetropole“ präsentieren. Rapper Samy Deluxe erarbeitet mit Jugendlichen aus dem ganzen Bundesgebiet ein neues „Deutschlandlied“, die Katharinenkirche hält im Gedenken an die kirchliche DDR-Opposition eine „Bluesmesse“ ab, und auf einem Podium zum Thema „Deutschland als Kulturnation“ sitzt neben Corny Littmann niemand anderes als der Kirchentags-Sänger Heinz-Rudolf Kunze, der nochmal sein Gesamtwerk vorstellt. Für die Hochkultur sorgen die Dirigentin Simone Young und die Philharmoniker Hamburg. Das Modelleisenbahn-„Miniatur-Wunderland“ beteiligt sich derweil mit einer Ausstellung, in der „sieben Dioramen die deutsche Nachkriegsgeschichte“ darstellen sollen. Voraussichtlicher Höhepunkt ist aber eine Barkassen-Parade durch die Fleete.

So harmlos sich diese Aktivitäten ausnehmen, so groß ist doch die Angst vor linken Umtrieben. Der „Michel“, in dem der Eröffnungs-Gottesdienst abgehalten wird, wird „aus Sicherheitsgründen“ großräumig abgesperrt, das Bürgerfest am Sonntag findet unter Polizeibewachung statt. Und die Polizei ließ mitteilen, „jedweden Störungen konsequent entgegentreten“ zu wollen.  TAZ

VON MAXIMILIAN PROBST

Nichts ist so glatt wie das Parkett der Geschichte. Den Tag der Deutschen Einheit, der dieses Jahr in Hamburg ausgerichtet wird, hat man unter das Motto: „Kulturnation Deutschland“ gestellt – und übersehen, dass „Kulturnation“ ein alter politischer Kampfbegriff mit deutschnational-völkischem Unterton ist.

Die Absicht mag lauter gewesen sein: Kultur – ein unverfängliches, offenes Wort. Ihre Erzeugnisse taugen, wenn sie was taugen, auch zum Export, umgekehrt sind sie ohne vorherigen Import nicht denkbar. Bach wird heute genauso in Ostasien gespielt und geliebt wie hierzulande – andererseits wäre sein Werk ohne Aufnahme von französischen und italienischen Einflüssen schlichtweg nicht zustande gekommen.

Kultur verbürgt die Offenheit einer Gesellschaft. Doch so positiv dies ist, so negativ ist der Begriff der „Kulturnation“ konnotiert. Geprägt hat ihn der Historiker Friedrich Meinecke Anfang des 20. Jahrhunderts, als er das entstehende Nationalgefühl in den deutschen Kleinstaaten um 1800 untersuchte. Meinecke analysiert, wie das deutsche Weltbürgertum, das in der Aufklärung wurzelte, dem Nationsgedanken weicht – was er ausdrücklich begrüßt. Und als Mörtel für diese neue Nation sollte und konnte, wie er meint, nicht das gemeinsame Recht, sondern die gemeinsame Kultur dienen, die gemeinsame Sprache vor allem und das christliche Bekenntnis.

Es ist nicht übertrieben, diesen Umschwung als den katastrophalsten in der deutschen Geschichte zu schildern: Der Universalismus des 18. Jahrhunderts verschmolz französisches, jüdisches – über Moses Mendelssohn – wissenschaftlich-antikes und christliches Gedankengut – etwa wenn Humboldt postulierte, man müsse der Menschheit in der eigenen Person „einen so großen Inhalt als möglich“ verschaffen.

Die Besinnung auf die Kulturnation schlug dagegen schnell antisemitische, antifranzösische und antiwissenschaftliche Töne an. Streng daran hielt sich auch, was der Historiker Erich Hobsbawm das „narrative Moment“ des Nationalismus nennt, die Erfindung von Traditionen: Walhalla, Ossian, Hermannsschlacht, Nibelungen, aber auch der bieder-brave deutsche Michel und was sich sonst noch rituell, in starrer Wiederholung inszenieren ließ.

Dem Kosmopolitismus der deutschen Klassik eignete ein diskursives Moment: So hat die Literaturwissenschaftlerin Marianne Schuller für die Zeit um 1800 zwei unterschiedliche Dialogverständnisse nachgewiesen. Das eine, vom nationalistischen Prediger Schleiermacher vertreten, möchte ein Ergebnis, er möchte den einen, einzigen Sinn aus dem Dialog hervorgehen sehen. Das andere Modell lasse Dissens gelten: Der Deutsche, schrieb Schiller, „verkehrt mit dem Geist der Welten“. Leider hat dann eine andere Formulierung in Deutschland Karriere gemacht: die von Hegel, der den Plural des Dichters zum „Weltgeist“ zusammenpresste.

Das Konzept der Kulturnation ebnete den Weg von der Aufklärung zur völkisch-nationalen Weltanschauung, einschließlich ihres im Konstrukt des „Ariers“ ausgereiften Sendungsbewusstseins. Es ist eine unglaubliche Peinlichkeit, jetzt mit dem Tag der Deutschen Einheit achtlos an diese Geschichte anzuknüpfen.

Oder ist da etwa doch ein Wille, halb-, unter-, vorbewusst am Werk? Soll einmal mehr Deutschland als geschlossener Volkskörper, gebunden von einer gemeinsamen Kultur, der Leitkultur, beschworen werden? Dazu passt, dass der staatliche Feiertag mit einem ökumenischen Gottesdienst eröffnet wird – womit man sich, ganz in der Tradition der Kulturnation, an der strikten Trennung von religiöser und staatlicher Sphäre versündigt.

Aber noch eine andere Parallele von aktueller Brisanz drängt sich auf. Das Konzept der Kulturnation hatte die gerade entstandene Arbeiterschaft radikal ausgeklammert. Noch in der Paulskirche fehlte sie 1848 vollständig, und mit Bismarcks Sozialistengesetz folgte 1878 die offene politische Diskriminierung.

Mittlerweile stellt sich die soziale Frage neu, denn Deutschland hat unübersehbar ein Unterschichtenproblem. Darüber können auch Ablenkungsdebatten über die Integration nicht hinwegtäuschen. Entscheidend für die Frage, ob man angemessen bezahlte Arbeit findet oder sich auf dem Billiglohnsektor verdingt, falls man nicht gleich von der ARGE widerwillig verwaltet wird, ist dabei der Zugang zur Bildung. Indem man sich auf die Kulturnation kapriziert, breitet man am Tag der Deutschen Einheit einmal mehr einen Deckmantel über den hässlichen Klassenantagonismus.

Aus alledem ergibt sich eine einfache Folgerung: Der Nationalfeiertag sollte an die Zeit anknüpfen, als „Deutsch“ noch eine Chiffre unter vielen für die Idee des Universalismus galt. Die Kulturnation müsste dabei der Gesprächsnation weichen: einem Konzept von Nation, die das alte humanistische Gespräch mit den Welten, wie es Schiller vorschwebte, ebenso sucht wie das Gespräch mit den gesellschaftlich Abgehängten. Davon sind wir noch weit entfernt.