: Der letzte unbeschwerte Kulturakt
Das erste Berliner Jüdische Museum feiert heute ein trauriges Jubiläum. Vor 70 Jahren wurde es eröffnet, nur sechs Tage vor Hitlers Machtergreifung. Es bestand nur bis zur Reichspogromnacht 1938. Viele Ausstellungsgegenstände gingen verloren
von AGNES CIUPERCA
Am Ende mussten sie dem Terror nachgeben. Nach Jahren der Diskriminierung und der Diffamierung wurde das erste Jüdische Museum in Berlin geschlossen. In der Reichspogromnacht vom 9. auf den 10. November 1938 hat die Gestapo die Kunststücke beschlagnahmt, nach nur knapp sechsjährigem Bestehen des Museums.
In einer politisch sehr bewegten Zeit eröffneten am 24. Januar 1933 der Kunsthistoriker Karl Schwarz und seine Assistentin Erna Stein das Berliner Jüdische Museum an der Oranienburgerstraße 31 in Mitte, Tür an Tür mit der dortigen Neuen Synagoge. Nur sechs Tage später wurde Adolf Hitler zum Reichskanzler ernannt. Zur Feier ihrer Machtergreifung marschierte ein großer Fackelzug der NSDAP durch das Brandenburger Tor.
Zu der Zeit jedoch, so beschreibt es Hermann Simon, heutiger Direktor des Centrum Judaicum, „war man sich über die kommenden Entwicklungen nicht im Klaren“. Hauptsorge der Initiatoren waren Anfang 1933 nicht die Nazis, sondern die Finanzierung ihres Museums. Umso erfreulicher für die Gründer, dass sich viele Künstler und Kunstliebhaber zur Zusammenarbeit bereit erklärten.
Bereits 1929 war der Jüdische Museumsverein gegründet worden. Dessen Mission wird in der Satzung des Vereins deutlich: „Das allgemeine Interesse für jüdische Kunst zu wecken und zu einem jüdischen Museum auszubauen.“ Grundstock der Ausstellung, die im umgebauten jüdischen Siechenheim der Gemeinde zur Schau gestellt wurde, war eine vom Juwelier Albert Wolf vermachte Sammlung. Antike Münzen, palästinensiche Altertümer, Porträts von jüdischen Persönlichkeiten und geschichtliche Schriftstücke vermachte der Mäzen zwei Jahre vor seinem Tod 1907 der jüdischen Gemeinde. Viele zeremoniell bedeutende Gegenstände aus Schenkungen und Leihgaben anderer Mäzene dokumentierten das religiöse Leben der Juden über Jahrhunderte hinweg. Die Dauerausstellung war zudem gespickt mit den Selbstbildnissen von Max Liebermann und Eugen Spiro, die die Künstler dem Museum zur Eröffnung schenkten.
Hermann Simon tituliert das Selbstporträt Liebermanns als Highlight der damaligen Ausstellung. Im ersten Jahr zählte die Mitarbeiterin Erna Stein 13.000 Besucher. In einer Analyse zum einjährigen Bestehen des Museums schreibt sie: „Die Ereignisse der letzten Monate haben nicht unwesentlich zu diesem Besucheransturm beigetragen.“ Der Korrespondent der Jüdischen Telegraphen Agentur James Yaakov Rosenthal beschreibt später die Eröffnung des Museums: „Es war der letzte bedeutsame, noch einigermaßen unbeschwerte jüdische Gesamtkulturakt der damaligen Reichshauptstadt.“ Als das Museum während der Reichspogromnacht am 9. November 1938 gestürmt wurde, verliert sich die Spur vieler Kunstwerke.
Die zum Teil wiedergefundenen Stücke wurden dem Bezalel Museum in Israel geschenkt, andere sind im Hebrew Union College in Cincinnati zu besichtigen. Berlin hat vom alten Glanz kaum profitieren können, nur noch wenige Bilder und Gegenstände sind heute noch in der Neuen Synagoge in Berlin zu besichtigen.
Der vor vier Jahren fertiggestellte Neubau des Jüdischen Museums Berlin in Kreuzberg wird nicht in der Tradition seine Vorgängers in der Oranienburger Straße weiter geführt. „Wir sind eine Einrichtung des Bundes, das erste Berliner Jüdische Museum hingegen war von der jüdischen Gemeinde initiiert“, erklärt Inka Bertz, Leiterin des heutigen Jüdischen Museums. Doch auch dessen Sammlungen hätten den „gleichen pädagogischen Impetus wie damals“. Die Besucher sollten aus der Vergangenheit lernen. Vertreibung, Unverständnis und Stolz waren vorrangige Motive der damals ausgestellten Kunstwerke. Heute wäre das Museum siebzig Jahre alt geworden.