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Archiv-Artikel

Armani? Porsche? Runtergesetzt!

Die neue Geizhalsigkeit hat die trendbewusste Szene in Hamburg und Berlin erreicht

Prassen ist passé. Schmal- und nicht mehr Prahlhans heißt jetzt der Partykönig

„Geiz ist geil!“, prallt einen seit einigen Wochen die Reklame an. Überall werden Rabattesammler und Schnäppchenjäger mit Niedrigstpreisen geködert. Schon beäugt die Bundesregierung das um sich greifende Billigtum mit Sorge. Das Gespenst der Deflation droht. Verbraucherschutzministerin Renate Künast erwägt gesetzliche Mindestpreisdiktate.

Längst sind die Szenemenschen in unseren Metropolen von der Tiefpreisentwicklung infiziert. In den In-Vierteln Hamburgs und Berlins goes der Trend deutlich in Richtung Knauserigkeit. Prassen ist passé. Wer was hermachen will, zieht die Sparbuchsen an. Schmal- und nicht mehr Prahlhans heißt jetzt der Partykönig. Teuer einkaufen ist verpönt, nur das Sonderangebot zählt. Schnäppchen vergleichen ist cool, und wer eine Klamotte am billigsten schießt, hat bei den Weibern die besten Karten. E-bayen gilt als todchic, bei Aldi anstehen als prima Sache, erst recht am Mittwochmorgen, dem traditionellen Schnäppchentag.

„Penny-Fuchsing“ nennt dieses Phänomen der Soziologe Richard Ottke vom Harburger Trendbüro. Er sieht in dieser „neuen Geizhalsigkeit“ mehr als nur ein modisches Strohfeuer. Im Gegenteil: „Das entwickelt sich gerade erst und wird den westlichen Gesellschaften in den nächsten Jahren einen tief greifenden Werte- und Mentalitätswandel bescheren.“ Noch beschränke sich das ausufernde Nassauertum nur auf materielle Dinge. „Bald schon wird auch an Befindlich- und Innerlichkeiten gespart werden“, fürchtet Ottke. Er sieht ein „seelisches Knickertum“ heraufziehen, das bis in die Familien hinein zu „fisementalen zwischenmenschlichen Verwerfungen“ führen wird.

Sven Rollmann (28) und Jorinde Gäthke (31) aus dem hippen Hamburg-Ottensen sehen sich als Vorreiter einer solchen Gesellschaft, ohne jedoch die Befürchtungen Ottkes zu teilen: „Fisementale Verwerfungen, so was gibt es doch gar nicht.“ Nicht dass Rollmann und Gäthke es nötig hätten, das Sparschwein zu geben. Beide haben gut dotierte Jobs in der Hamburger Medienbranche. Doch: „Ich finde es inzwischen einfach fetter, mir die hohe Kante zu geben. Man könnte ja durchaus jeden Preis zahlen, aber ihn zu drücken kickt irgendwie mehr“, so Gäthke. Sven Rollmann pflichtet ihr bei: „Feilschen um jeden Preis, das isses. Und dann hin und wieder ein Super-Schnäppchen machen. Das ist besser als irgendwas mit ’ner Frau“, versucht er sich verständlich zu machen.

Gäthke und Rollmann leben nicht nur ihren Geiz, sie dokumentieren ihn auch offensiv, wie unschwer zu übersehen ist: An ihren neuen Klamotten bleiben jetzt die Preisschilder dran. „Soll eben jeder sehen, dass ich den Armani-Pulli für nur 19,50 Euro abgegriffen habe“, erklärt Gäthke. Auf den Sohlen ihrer nappaedlen Rabacci-Stiefeletten informiert ein signalrotes Sonderangebote-Preisschild darüber, dass diese Markenschuhe ihre Besitzerin nur „120,50 €“ gekostet haben. Rollmann trägt einen kamelhaarfarbenen Rosshaarmantel von Ferdi Lassale, und obwohl ein großformatiges Preisschild („89 €“) im hinteren Kragenbereich seine Nackenhaut schon arg wundgescheuert hat, würde er es niemals von dort entfernen. „Ich bin doch nicht blöd“, zitiert er einen eingängigen Reklamesprüche. „So billig schießt du einen Lassale-Mantel nicht mal in der DRK-Kleiderkammer.“ Und das soll, bitte schön, auch jeder sehen.

Wer ihre sparfüchsige Einkaufs-Cleverness in Zweifel sieht, bekommt kurzerhand die Ladenquittung unter die Nase gehalten. Jede Kaufbestätigung wird sorgfältig aufgehoben. Könnte ja jemand kommen und es Jorinde Gäthke nicht glauben wollen, dass sie ihr fabrikneues Siemens-Handy bei eBay für nur 35,87 € ersteigerte: „Versandkosten inklusive.“ Sven Rollmann ist besonders stolz darauf, dass er für seine Bioeier aus dem Ökoladen mittlerweile weniger bezahlt als bei Aldi. Allerdings: „Man munkelt, dass die bald pleite gehen.“ Dann muss er sich nach einem neuen Bioanbieter umschauen, den er runterhandeln kann.

Gäthke und Rollmann haben den Geizkragen noch lange nicht voll. „Das Wort Trinkgeld zum Beispiel“, so geben die beiden Trendsetter unumwunden zu, „haben wir aus unserem Vokabular gestrichen.“ Gut, aber möglichst billig leben, heißt ihre Lebensmaxime, der Jorinde Gäthke sogar bis über den Tod hinaus treu bleiben will. Auf ihren Grabstein, so hat sie schon mal verfügt, soll nur das Wort „Runtergesetzt“ eingraviert werden. „Das sagt mehr über mich als alle frommen Worte.“ Spricht’s und steigt in ihren Porsche, an dessen Heck sie die Worte angebracht hat: „Aufgepasst, meine Herren. Meiner kostet nur 9.000 Euro. Navigationssystem inklusive.“ Und ab geht’s zur Freien Tanke nach Hamburg-Barmbeck, wo es den Liter Super heute für nur 1,07 Euro geben soll. FRITZ TIETZ