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Archiv-Artikel

Die rollende Mahnwache

Gemeinsam knausert es sich doch am schönsten: Der Bund der Steuerzahler demonstriert mit einer Bustour gegen die Finanzpolitik der Regierung

Geiz ist geil dieses Jahr. Das wissen die Fans von Unterhaltungselektronik, das weiß auch der Bund der Steuerzahler, der in seinem Bemühen um Aufklärung darüber, wo öffentlich gespart werden kann, ein wenig an Lilo Wanders „Liebe Sünde“-Sendung erinnert. Statt Sextipps gibt es auf der Homepage www.steuerzahler.de eben Spar-Infos für Steuern zahlende Erwachsene, die nicht bloß daheim gerne knittern und knausern, sondern solcherlei Praktiken auch von ihrer Bundesregierung erwarten. Wer, wenn nicht der BdSt, bohrt dermaßen beständig nach, wenn der Staat irgendwo Geld verschwendet? Niemand sonst fordert hitzig einen verkleinerten Magistrat für Frankfurt, verhindert kostenaufwändige Bio-Abfallbehandlungsanlagen im Oberbergischen Land und feiert es als Triumph, wenn keine Luxustoiletten gebaut werden, weil auch ein simples Klohäuschen ausreicht in der Innenstadt von Ingolstadt.

Besonders hart ist der Kampf, den der Bund der Steuerzahler gegen die rot-grüne Regierungskoalition führt, weil sie Steuer- und Abgabenerhöhungen beschlossen hat, obwohl dadurch Wachstum und Beschäftigung weiter den Bach runtergehen könnten. Hat denn nicht Kanzler Schröder selbst verkündet, „dass Steuererhöhungen in der jetzigen konjunkturellen Situation unsinnig sind“? Deshalb fährt bis Mitte Februar ein Steuerzahlerprotestbus durch Berlin, mit gelber „Mir reicht’s“-Aufschrift, als Plakatwand auf Rädern. Sechsmal täglich, zur vollen Stunde, von 10 bis 15 Uhr; der Startpunkt ist am Gendarmenmarkt Ecke Französische Straße, die Tour ist gratis.

Der symbolische Widerstand funktioniert hier gleich zweifach. Zum einen ist die magical mystery tax-tour als Sightseeing-Parcours konzipiert, auf dem man erfährt, wo überall bei der Hauptstadtplanung die Baukosten im Regierungsviertel überschritten wurden. Gleichwohl ist der Bus auch eine preisgünstig durch Berlin rollende Mahnwache, ganz im Sinne der vom BdSt propagierten Sparsamkeit. Noch bevor der Bus startet, erklärt ein Herr vom Bund der Steuerzahler, dass die Aktion viel spektakulärer und dennoch billiger zu haben sei als eine Demonstration vor dem Reichstag, denn „das würde die Berufstätigen unter Ihnen doch nur wieder Arbeitszeit und Geld kosten“.

Danach geht es im Schritttempo an die Orte der Verschwendung: Das Bundeskanzleramt war mit über 262 Millionen Euro Bausumme um 30 Prozent teurer als geplant; beim Paul-Löbe-Haus, in dem die Ausschüsse des Bundestags zusammensitzen, wurden die Kosten um 48 Millionen Euro überschritten; und das Jakob-Kaiser-Haus mit seinen Abgeordnetenbüros hat gleich 584 Millionen Euro an Steuergeldern aufgefressen. Die Zahlen sind durchaus überwältigend, und mit der Bildmächtigkeit von Zahlen kennt sich der Bund der Steuerzahler aus. Als Höhepunkt der Fahrt wird am Ende vorgerechnet, dass während der vergangenen 45 Minuten die Staatsverschuldung um „fünfmillionenzweihundertfünfunddreißigtausendunddreihundert Euro“ gestiegen ist. 1.939 Euro pro Sekunde, klick, klick, klick, ein unentwegter Maelstrom aus Zins und Zinslichkeit.

So wird die Schuldenflut zum Schreckgespenst, zum allesverschlingenden Staats-Behemoth, vor dessen Klauen einen die Mitgliedschaft beim Bund der Steuerzahler schützen soll. Aufnahmeanträge liegen deshalb gleich vorn beim Busfahrer aus. Weil Protest im Verein am schönsten ist, auch gegen die vorgebliche Verschwendungssucht der Bundesregierung. Das zumindest hat der Bund der Steuerzahler mit dem Barrikaden-Baring gemeinsam, den die FAZ aufgebaut hat: In der Angst vor dem Staat bleibt bei beiden niemand lang allein.

HARALD FRICKE