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Von Provinzfürsten gestürzt

Auch nach fünf Stunden Sitzung kann sich die CSU-Fraktion auf keinen Nachfolger für Günther Beckstein einigen. Zur Not soll es Horst Seehofer werden

DIE THRONANWÄRTER

Horst Seehofer: Der Bundesagrarminister kandidiert bereits für den CSU-Parteivorsitz. Viele CSU-Abgeordnete würden das Amt des Partei- und Regierungschefs gern wieder in einer Hand sehen. In der Landtagsfraktion ist der gebürtige Oberbayer allerdings bisher nicht mehrheitsfähig gewesen.

Joachim Herrmann: Der katholische Mittelfranke folgte Beckstein im Herbst 2007 als Innenminister nach. Er musste die noch von Beckstein angefangene ungeliebte Polizeireform umsetzen. CSU-intern galt Herrmann als eine der stärkeren Figuren in einem insgesamt eher blassen Kabinett.

Georg Schmid: Auf das Konto des Schwaben geht die Verschärfung des Rauchverbots. Der 55-Jährige wurde nach Amtsantritt von Ministerpräsident Beckstein gegen seinen Willen an die Fraktionsspitze befördert. Angeblich sägen vor allem oberbayerische Konkurrenten an seinem Stuhl dort.

Thomas Goppel: Von 1999 bis 2003 war der Wissenschaftsminister sowie Sohn des einstigen bayerischen Ministerpräsidenten Alfons Goppel als CSU- Generalsekretär die Stimme seines Herrn Edmund Stoiber. Sein großer Vorteil: Die Parteibasis mag ihn. DPA

AUS MÜNCHEN BERNHARD HÜBNER

Drinnen, im Sitzungssaal, versinkt die CSU gerade im Chaos. Draußen genießt der völlig unbekannte Abgeordnete Georg Winter, 57, aus Dillingen seine fünf Minuten Ruhm. Er tritt in den schmucklosen Vorraum mit 50er-Jahre-Flair, blickt in die Kameras, sieht das Blitzlicht auf ihn einprasseln und gibt eine Erklärung ab, wie sie eigentlich nur Fraktionschefs oder Parteivorsitzenden vorbehalten ist.

„Es gibt kein Machtvakuum“, erklärt Winter. Gerade werde um den Zeitplan gerungen, über den neuen Ministerpräsidenten werde heute nicht mehr entschieden. Vielleicht nächste Woche. „Ist das offiziell?“, wollen die Journalisten wissen. „Nein“, meint Winter beiläufig. „Niemand hat mich geschickt. Eigentlich wollte ich nur schnell eine Zeitung holen.“

Die Nerven liegen an diesem Mittwoch blank in Bayerns ehemaliger Erfolgspartei. Am Mittag hat Günther Beckstein seinen Rücktritt als bayerischer Ministerpräsident bekannt gegeben – nach nur einem Jahr im Amt. Seitdem ringt die Landtagsfraktion hinter verschlossenen Türen um die Nachfolge. Über die Hälfte aller Fraktionsmitglieder meldet sich zu Wort, der ebenfalls anwesende Edmund Stoiber bleibt angeblich stumm, die Sitzung dauert fast fünf Stunden. Dann tritt Noch-Parteichef Erwin Huber, der am Vortag bereits zurückgetreten ist, vor die Presse: Es gebe drei Bewerber für den Posten des Ministerpräsidenten – Bayerns Innenminister Joachim Herrmann, Wissenschaftsminister Thomas Goppel sowie CSU-Fraktionschef Georg Schmid. Als vierter Kandidat hat sich Bundesverbraucherminister Horst Seehofer angeboten, falls man sich auf keinen der drei Kandidaten einige. Aus dem noch am Montag angekündigten „geordneten Übergang“ ist spätestens drei Tage nach der verheerenden Landtagswahl ein offener Machtkampf geworden.

Auch wenn die CSU lange Jahre nach außen hin sehr geschlossen wirkte, herrscht in der Partei starke Konkurrenz. Die einzelnen Bezirksverbände ringen um Macht und Ämter, Positionen werden in der CSU nach einem strikten Regionsproporz vergeben: Wenn der Ministerpräsident, wie Beckstein, aus Franken kommt, kann unmöglich ein Franke die Fraktion leiten. Alle Regionalinteressen müssen bedient werden. Das ging so lange gut, wie die Macht der CSU wuchs und die Partei immer neue Posten vergeben konnte. Doch am Sonntag hat die Partei 32 Sitze im Landtag verloren, in einer Koalitionsregierung muss sie Ministerien an die Partnerpartei abgeben. Der Kampf um die knapp gewordenen Posten hat begonnen, und die Bezirksverbände stehen im offenen Kampf gegeneinander.

Vor allem der mächtigste Bezirksverband Oberbayern ist die treibende Kraft hinter der Ablösung von Beckstein und Huber. Als der Niederbayer Huber am Dienstag zurücktreten musste, schlossen sich auch die Niederbayern dem Ruf nach einer Ablösung Becksteins an. Sie wollten es nicht auf sich sitzen lassen, dass die Wahlniederlage allein ihrem Mann Huber angelastet wurde. Als am Mittwochmorgen die Abgeordneten aus Oberfranken im Landtag vorfahren, sagt einer nur: „Wir sind froh, dass wir den Ministerpräsidenten Beckstein haben.“ Wenig vorher war schon der selbsternannte „Ehrenspielführer“ der CSU, Edmund Stoiber, in den Landtag geilt. Der aus Berlin angereiste zukünftige Parteichef Horst Seehofer verkündet: „Erst muss man nachdenken, dann reden, dann muss man handeln.“ Doch Denken, Reden und Handeln geht an diesem Tag reichlich durcheinander.

Kaum hat die Sitzung der CSU-Fraktion begonnen, öffnet sich die Tür, und Beckstein, Huber, Seehofer und Fraktionschef Georg Schmid ziehen sich zu einer Unterredung zurück. Als sie zurückkehren, macht wenige Minuten später das Gerücht die Runde: Günther Beckstein habe eben seinen Rücktritt erklärt.

Der Bezirksverband Oberbayern ist treibende Kraft hinter der Ablösung von Beckstein und Huber

Seehofer hält eine Rede, er wirbt für das Vertrauen der Fraktion. Wie später bekannt wird, stellt er sich auch für das Amt des Ministerpräsidenten zur Verfügung. Aber eine schnelle Entscheidung pro Seehofer wollen die Abgeordneten nicht fällen.

Gegen halb eins verlässt Günther Beckstein den Saal. Im Konferenzzimmer ist ein Mikrofon aufgebaut. Beckstein sagt: „Der Rückhalt in der Partei war nicht groß genug, um weiter im Amt des Ministerpräsidenten zu bleiben.“ Und er fügt an: „Auch wenn es da regionale Unterschiede gibt.“

Über Becksteins Nachfolge will die Partei bis kommenden Mittwoch entscheiden. Dann tagt die Fraktion erneut.

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