: „Das Denkmal wird ein Stachel im Fleisch“
Im Frühjahr ist Baubeginn für das Holocaust-Mahnmal. Bauherrin Sibylle Quack, Geschäftsführerin der Denkmal-Stiftung, kann es kaum erwarten. Sie ist sicher: Das Stelenfeld wird Geschichte nicht entsorgen, sondern Erinnerung lebendig halten. Ein Gespräch zum heutigen Holocaust-Gedenktag
Interview PHILIPP GESSLER
taz: Frau Quack, Sie beschäftigen sich jetzt schon Ihr halbes Leben mit dem Holocaust: Wie ist das in Ihrer Familie: Kann Ihr Sohn etwa das Wort „Holocaust“ noch hören?
Sibylle Quack: Für ihn war sicher prägend, dass er mehrere Jahre seiner Kindheit in den USA verbracht hat. In New York wohnten wir zusammen mit Freunden, deren Eltern aus Deutschland emigriert waren, mit den Nachkommen von Heinrich Stahl, dem letzten Vorsitzenden der Jüdischen Gemeinde in Berlin vor dem Krieg. Für meinen Sohn ist weder jüdische Kultur fremd noch das Wissen, dass es den Holocaust gab.
Belastet Sie die tagtägliche Auseinandersetzung mit dem Horror psychisch?
Eine tagtägliche Auseinandersetzung mit diesem Horror kann man nicht führen. Die Gefahr beim „Verwalten der Erinnerung“ ist immer, dass es einen vergessen lässt, worum es wirklich geht. Und ich möchte nicht abstumpfen gegenüber dem Leid. Gleichzeitig ist mit einem solch großen Projekt ein erheblicher Aufwand auch an Planung, Koordination, leider auch Bürokratie verbunden. Unsere Historiker, die mit der Umsetzung des historischen Konzepts und damit ständig mit den Inhalten befasst sind, haben es vielleicht schwerer. Eins ist klar: Wir alle haben ein starkes Engagement. Und wir unterstützen uns gegenseitig.
Hat die Beschäftigung mit dem Holocaust auch eine persönliche Komponente? Sie haben kurz nach 1968 angefangen zu studieren, und 68 gilt ja auch als Auseinandersetzung mit der Schuld der Väter.
Ich kam aus einer der typischen Familien, wo beides vorhanden war: Widerstand und Mitläufertum. Das Thema „Nationalsozialismus“ stand in meiner Familie immer im Raum. Mich hat von früh an die Frage umgetrieben: Wie konnte das passieren? Das hat mich während meines Studiums von Anfang an bewegt.
Es war die Zeit der großen Faschismus-Theorien.
Es gab große Theorien, aber dass man mit Menschen sprach, die das überlebt hatten, kam meistens erst später. Dass ich den SPD-Politiker Paul Levi für meine Doktorarbeit ausgesucht habe, war kein Zufall: Ich hatte in der „Geschichte der Weimarer Republik“ des Soziologen und KPD-Politikers Artur Rosenberg gelesen, welch Verlust Levis Tod im Jahr 1930 für die Weimarer Republik bedeutet habe; auf ihn hätten große Teile der Arbeiterbewegung gehört, sie hätten Hitler möglicherweise verhindert.
Eine Illusion?
Dieser Satz war natürlich illusionär – aber er hat mich damals sehr gefesselt: Es gab also einen, der die Spaltung der Arbeiterbewegung hätte verhindern können, die dafür verantwortlich war, dass Hitler an die Macht kommen konnte! Deshalb habe ich mich in die Biografie Levis vertieft. Ich habe später seine Verwandten in den USA besucht, die dorthin geflüchtet waren.
Sie haben dann die Briefe Rosa Luxemburgs an Paul Levi herausgegeben: Ist sie ein Vorbild für Sie?
Sie war eine unwahrscheinlich engagierte, kämpferische, Kraft spendende Frau. Als „role model“ für mich habe ich sie nicht empfunden. Ich liebte ihren Verstand, aber es klaffte eine große Lücke zwischen dem, was sie theoretisch wollte, und der Realität.
Es gibt ja den Vorwurf gegen die 68er, dass sie sich mit der Frauenfrage zu wenig befasst haben – hat man sich deshalb auch wenig mit Rosa Luxemburg beschäftigt?
Ich erlebte die Nachwehen der 68er-Jahre an der Universität – mit all diesen verkrusteten K-Gruppen, wo es sehr dogmatisch zuging. Rosa Luxemburg wurde nicht so sehr als Frau gewürdigt, sondern als scharfe Denkerin gegen den Revisionismus. Die Beschäftigung mit ihr als Frau begann für mich Ende der 70er, als die Briefe Luxemburgs von Annelies Laschitza in der DDR herausgegeben wurden. Eine wunderbare Quelle über diese Person: ihre Wärme, Kreativität, ihren Verstand, ihr Mitgefühl. Spätestens da war ich von ihr restlos begeistert, als Frau, als Mensch.
Sie haben sich dann vor allem mit jüdischen Emigrantinnen in den USA beschäftigt, sie interviewt. Haben Sie diese Interviews, all das Schlechte, was Sie über Deutsche und Deutschland dabei hörten, von diesem Staat entfremdet?
Ich hatte komischerweise keine Identitätsprobleme, obwohl Deutsche leicht dazu neigen. Ich hatte nicht das Gefühl, dass ich jüdisch werden oder sozusagen die Seite wechseln müsste. Im Gegenteil: Ich verstand mich als eine Art Botschafterin der in der Bundesrepublik aufgewachsenen Generation. Und ich hatte das Gefühl, es ist richtig, dass Menschen, die von der Generation meiner Eltern verjagt worden waren, mir endlich ihre Geschichte erzählen konnten. Dabei habe ich auch überraschend viel über mich selbst erfahren.
Wie meinen Sie das?
Es gab da zum Beispiel eine ganz merkwürdige Begebenheit: Ich hatte im Aufbau eine Anzeige geschaltet, dass ich jüdische Emigrantinnen aus Deutschland für meine Interviews suchte – und die erste Frau, die mir geschrieben hat, war eine Frau aus Gießen, der Stadt, in der ich aufgewachsen bin. Und ausgerechnet diese Frau kannte meine Großeltern. Das ist doch unwahrscheinlich! Ich hatte das Gefühl, da schließt sich ein Kreis. Sie war in den Neunzigern. Als ich sie besuchte, rief sie mir schon von der Tür aus zu: „Ihre Großeltern waren die letzten Deutschen, mit denen ich mich vor meiner Flucht getroffen habe.“
Hoffentlich war diese letzte Begegnung dieser Dame mit Ihren Großeltern positiv.
Gott sei Dank positiv! Sie waren befreundet. Sie schilderte mir meine Großeltern, die ich nicht mehr gekannt hatte, sehr lebendig.
Zwar sind es Hunderttausende von Spendern, aber es ist vergleichsweise nicht viel Geld, was bisher aus der Bevölkerung von der ehemaligen Bürgerinitiative, dem heutigen Förderkreis für das Mahnmal, gesammelt wurde: etwa ein Million Euro. Spricht das dafür, dass die Deutschen in der Mehrheit das Mahnmal nicht haben wollen?
Ich weiß nicht, ob die Spendeneinnahmen genug aussagen über die Zustimmung zum Denkmal. Die Finanzierung ist ja gesichert, da der Bundestag beschlossen hat, das Mahnmal zu errichten. Ich glaube, die Zustimmung, gerade auch bei jungen Menschen, wächst zurzeit. Das Denkmal ist für viele schon eine feste Größe, jedenfalls im Geist. Noch haben viele Sorge, da es sich um eine staatliche Einrichtung handelt, werde Geschichte mit dem Denkmal womöglich nur „entsorgt“, erstarre in staatlicher Symbolik. Es ist außerordentlich wichtig, dass wir im Dialog darüber bleiben, die Debatte über die Inhalte weiterführen.
Kann es sein, dass die Politik großen Teilen der Bevölkerung voraus ist: Dass sie etwas verwirklicht, was viele erst verstehen werden, wenn es schon eine Weile steht?
Ich würde gern dem wunderbaren Entwurf Peter Eisenmans die Möglichkeit geben, seine Wirkungskraft zu entfalten. Die beste Art, um Zustimmung für dieses Denkmal zu werben, ist, es nun wirklich zu bauen. Hier soll kein Entsorgungsort entstehen, sondern ein lebendiges Denkmal in der Mitte unserer Gesellschaft – und es wird ein Stachel im Fleisch sein.
Gebaut werden kann, sobald der Frost aufhört?
Ja, die Ausschreibungsfrist für den Bau der Stelen ist vor Weihnachten abgelaufen. Derzeit prüft die Senats-Bauverwaltung die Angebote. Wir hoffen, dass die Beauftragung der Firmen Ende Februar erfolgen kann. Der Bau soll im Frühjahr losgehen.
Und bis Ende 2004 steht das Denkmal?
Es ist die Auskunft des Architekten, dass zumindest die Stelen und der Rohbau des Ortes der Information bis 2004 fertig werden. Die Ausstellung selbst wird vielleicht erst am 27. Januar 2005 oder einige Monate später eröffnet.
Soll das Mahnmal eigentlich schön werden?
„Schön“ ist nicht der richtige Ausdruck dafür, finde ich. Das Denkmal soll zum Nachdenken anregen. Und es soll einladen, sich hineinzubegeben und sich dem auszusetzen.
Aber wird das Denkmal in 20 Jahren vielleicht hässlich geworden sein: durch Graffiti, die Witterung, die Massen, die hindurchgehen werden?
Das Denkmal wird aus hochwertigem Beton gebaut, der schon einen gewissen Schutz gegen Witterungsprozesse bietet. Aber auch dieses Material unterliegt natürlichen Alterungsprozessen. Graffitischutz ist auf jeden Fall vorgesehen. Peter Eisenman hat in dieser Hinsicht eine lockerere Haltung als die Stiftung. Er sagt: „Das müsst ihr ertragen, das ist eure Gesellschaft.“ Aber wir wollen die Graffiti nicht ertragen. Ich glaube übrigens, dass gerade die Kombination zwischen Denkmal und Ort der Information eine gute Chance bietet, weiter an Erinnerung zu arbeiten, miteinander im Gespräch über die Geschichte zu bleiben.
Der Ort der Information wird nicht altern?
In einer Ausstellung kann man immer wieder zu neuen Formen greifen, neue Fragen stellen. Die Haltungen gegenüber dem Denkmal, vielleicht auch der Geschichte des Holocaust gegenüber, werden sich wandeln und hier thematisiert werden.
Kanzler Schröder hat über das Denkmal gesagt, er wünsche sich einen Ort, „wo man gerne hingeht“. Wäre das gut so?
Ich meine nicht, dass Jugendliche von heute oder nachfolgende Generationen im Büßerhemd herumlaufen sollten. Wichtig ist, dass sie sich mit der Geschichte befassen, offen sind, sich nicht verhärten. Darauf muss man Rücksicht nehmen. Kommunikation ist wichtig. Jede Generation muss sich neu fragen, was dieses schlimmste Menschheitsverbrechen in unserer Geschichte für sie bedeutet und in welcher Form man als Einzelner Verantwortung übernehmen kann. Das ist nicht sehr schön, wahrscheinlich auch nichts, was man gerne tut. Aber man darf nicht so viel vorschreiben, jede Zeit hat ihre eigenen Ausdrucksformen und künstlerischen Entwürfe zu diesem Thema – schön, hässlich, angemessen, schrill, was weiß ich.
Viele sprechen von der „Erinnerungstrias“ aus Holocaust-Mahnmal, „Topographie“ und Jüdischem Museum. Wenn nun die „Topographie“ lange, lange nicht fertig wird, hat das dann Folgen für Ihr Denkmal?
Ja, unbedingt. Beides muss in zeitlicher Nähe fertig werden. Die Aufgabenteilung ist unverzichtbar. Die Täter-Seite muss im Land der Nachkommen der Täter thematisiert und aufgearbeitet werden. Man kann nicht nur über die Opfer reden. Wir werden auch im Ort der Information den Eindruck vermeiden, dass der Holocaust eine Tat ohne Täter war.
Sind die Verzögerungen bei der „Topographie“, wo es ja noch stärker um die Schuld der eigenen Väter und Großväter geht, nur technisch bedingt?
Nein. Diese Dinge haben immer eine Geschichte. Allein, wie lange es gedauert hat, überhaupt diesen Ort wieder zu entdecken. Wenn Sie bedenken, dass auf den Trümmern dieser Mörderzentrale jahrelang ein harmloser Übungsplatz für Fahrschüler war. Da fuhren Leute herum, um für ihren FÜHRERschein zu üben. Das muss man sich mal vorstellen!
Wie kann verhindert werden, dass das Holocaust-Gedenken ritualisiert wird – oder wäre das gar nicht so negativ?
Ritualisierte Formen sind, wenn man gedenkt und trauert, vollkommen unverzichtbar, vor allem im religiösen Raum. Aber sie sind nicht angebracht, wo es um lebendige, konstruktive intellektuelle Auseinandersetzung mit diesem Thema gehen muss. Rituale dürfen die Fragen nicht erdrücken. Aber beide Formen haben ihre Berechtigung.
Keine Angst vor einer „Kranzabwurfstelle“?
Wenn wir beispielsweise die jährliche Verlesung der Namen der Berliner ermordeten Juden auf dem Gelände des Denkmals machen, wenn wir dazu Menschen etwa aus Osteuropa einladen und mit ihnen gemeinsam weitere Namen von Ermordeten auch von dort lesen, dann ist dies etwas Rituelles, gleichzeitig aber auch ein ganz aktiver Akt der Erinnerung. Das Denkmal wird lebendig sein, aber es bedarf der Anstrengung. Es reicht nicht, es nur dorthin zu stellen. Ich bin überzeugt, es kann ein ausgesprochen kommunikativer Ort werden. Der dann auch als Portal zu den anderen Gedenkstätten und historischen Orten dient.
Der Direktor des Jüdischen Museums, Michael Blumenthal, hat gesagt, dass vielleicht von all den Aufgaben seines Lebens (u. a. als US-Finanzminister) die des Direktors des Jüdischen Museums in Erinnerung bleiben wird – und bei Ihnen?
Ich würde mich nie mit Michael Blumenthal vergleichen, den ich überaus schätze und bewundere. Was bleiben wird von meiner Arbeit, kann ich nicht voraussehen. Mir selbst ist sie Herzensangelegenheit. Alle Unbill und Ärgernisse, die es dabei zu überwinden gilt, haben letztlich mit dem Thema zu tun.