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Archiv-Artikel

Mehr Markt für Norwegens Lachse

Skandinaviens weißer EU-Fleck scheint zu bröckeln. Norwegens Opposition und Teile der Regierung sind bereit, das Beitrittsthema wieder auf die Agenda zu setzen. Die EU- Osterweiterung bezahlt man schließlich so oder so

aus Stockholm REINHARD WOLFF

Zweimal sagte Norwegen bislang Nein zu Europa: 1974 zur damaligen EWG und 1994 zur EU. Nun scheint sich die Stimmung zu ändern. Laut einer kürzlich veröffentlichten Umfrage sind zwei von drei NorwegerInnen für eine EU-Mitgliedschaft. Die Nein-Sager sind auf 28,5 Prozent geschrumpft. „Schwankungen im Meinungsbild gab es immer“, so der Staatswissenschaftler Henry Valen, „aber diesmal scheint etwas Radikales passiert zu sein.“

Die Politik reagierte sofort. Jens Stoltenberg, Chef der oppositionellen Sozialdemokraten, hält eine Volksabstimmung im kommenden Jahr für möglich. Und empfiehlt schon mal ein „Ja“. Kein Wunder: Die Koalitionsvereinbarung der seit Oktober 2001 amtierenden Mitte-rechts-Regierung enthält eine „Selbstmordklausel“, nach der das Ersuchen um EU-Mitgliedschaft das Ende der Regierung bedeutet.

Aber selbst der christdemokratische Ministerpräsident Kjell Magne Bondevik überraschte am Wochenende mit der Ankündigung, er werde seinen Standpunkt prüfen. Mit der Osterweiterung verändere sich die Union schließlich drastisch. Die EU-Frage spaltet schon jetzt die Koalition. Christdemokraten und liberale Venstre sind mehrheitlich EU-Gegner. Die konservative Höyre ist für die Mitgliedschaft. In einer Umfrage bekannten sich 13 der 19 MinisterInnen zur EU.

Beim EU-Nein von 1994 hatte ein als unzureichend angesehenes Fischereiabkommen und die Furcht vor leer gefischten heimischen Gewässern durch die EU-Fangflotte die Hauptrolle gespielt. Nun will das stark exportabhängigen Fischereigewerbe den ungehinderten Marktzugang. Zwar erleichtern sich EU und Norwegen ihren Marktzugang durch das EWR-Abkommen (Europäischer Wirtschaftsraum). Das wird aber gerade neu verhandelt. Brüssel will, dass sich EWR-Länder im gleichen Umfang wie EU-Mitgliedsstaaten an den Kosten der Osterweiterung beteiligen. Für Norwegen würde dies ums Zwanzigfache steigende Beiträge bedeuten. Logischer Schluss: Wenn wir schon wie ein EU-Land zur Kasse gebeten werden, warum dann nicht gleich Mitglied werden? Die Tatsache, dass sich auch Island positiver zur EU äußert, dürfte den Schwenk noch verstärken.

In der einst stark anti-EU-orientierten norwegischen Linken scheint sich die Einsicht durchzusetzen, dass angesichts fortschreitender Globalisierung der soziale Kampf dem nationalen vorgezogen werden muss. Dafür könne die EU eine geeignete Plattform sein, heißt es neuerdings. Bislang galt die Union als „ein Klub der europäischen Reichen“. Ein Argument, das spätestens mit der Osterweiterung in Frage steht. Und eines, das ohnehin etwas seltsam anmutet aus einem Land, das dank seines Öls die reichste Nation Europas ist.

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