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Archiv-Artikel

Der Dinge habhaft werden

Ulrich Peltzer, Träger des Bremer Literaturpreises, über Identität, scheiternde Kunst und Talk-Shows

Gestern nahm Ulrich Peltzer, 47, den Bremer Literaturpreis der Rudolf-Alexander-Schröder-Stiftung entgegen. Ausgezeichnet wurde der gebürtige Krefelder mit Wohnsitz in Berlin für seine Erzählung „Bryant Park“: Ein Ich-Erzähler erlebt einen Nachmittag und Abend in Manhatten vor dem 11. September. Seine akribisch genauen, atmosphärisch dichten Beschreibungen der Metropole werden immer wieder durchbrochen von Erinnerungen an Vergangenes, den Tod des Vaters, einen Drogendeal in Neapel, das Ende einer Beziehung. Laudator Wilfried F. Schoeller sprach bei der Preisverleihung im Rathaus von einem „ungewöhnlichen Wahrnehmungstext, ein Anblickstext, der nichts erklärt, sondern immer nur vorzeigt, der die Stadt mit kühlen Nerven aufnimmt.“

Herr Peltzer, immer wieder ist zu lesen, Ihre Erzählung „Bryant Park“ kreise um die Frage der Identität, sei eine „Identitätssuche“. Stimmt das?

Nein, da hat niemand seine Identität verloren und sucht eine neue. Es ist die Geschichte von jemandem, der in einer krisenhaften Phase seines Lebens ist und wieder zu sich findet. Mit dem Wort „Identiät“ kann ich nichts anfangen. Wenn man mit sich selbst identisch ist, dann liegt man normalerweise drei Meter unter der Erde.

Es geht in „Bryant Park“ darum, dass jemand in einem bestimmten psychischen Zustand ist und sich damit die Wahrnehmungsprozesse ändern, die mit diesem Zustand verbunden sind. Die Wahrnehmung von Stadt ist eine ganz andere, ob man verliebt ist oder ob man gerade kurz davor ist, in die Weser zu springen...

Ihre Erzählerfigur nimmt nicht nur mit allen Sinnen wahr, sie wirkt hypersensibel...

Ja, diesen Eindruck kann man bekommen. Trotzdem besteht eine Kluft zwischen den Sinnen und den Worten. Ich will diese Kluft möglichst klein machen. Die Kluft ist natürlich nie zu schließen, weil das, was man fühlt und denkt und sieht und empfindet immer etwas anderes ist als die Worte, die man nachher dafür findet. Es geht um das notwendigerweise scheiternde Unternehmen, die Worte so nah an die Dinge heranzubringen, dass sie fast miteinander verschmelzen.

Könnte man das auf die Formel bringen: Literatur als Selbstvergewisserung?

Könnte man sagen, ja. Das Wort „Selbstvergewisserung“ mag ich. Nur sollte es nicht therapeutisch verstanden werden: Es geht nicht darum, dass die Figuren besser oder schlechter werden, sondern es geht darum, dass die Figuren versuchen, der Dinge habhaft zu werden.

Das Thema der Literarischen Woche lautet „Zwischen Bildern und Texten“. Wie lässt sich das auf „Bryant Park“ anwenden?

Der Erzähler bewegt sich durch eine Stadtlandschaft, die erstens medial geprägt ist, und zweitens sind die Bilder, die er sieht, schon von anderen Bildern überlagert. Es ist ja nicht so, dass man New York so sehen kann, wie man zum ersten Mal etwas sieht. Das muss einem klar sein, wenn man versucht, New York in Worten zu fassen.

Kurz vor dem Ende ihrer Arbeit an „Bryant Park“ passierten die Terroranschläge vom 11. September 2001. Sie haben diese Ereignisse in die Erzählung aufgenommen, haben sie aber nicht vertieft, sondern kehrten wieder zur ursprünglichen Erzählung zurück. Wie kam es zu dieser Entscheidung?

Da gibt‘s so ein Deleuze-Zitat, das heißt: „Die Kunst ist das Widerständige. Sie widersteht der Niedertracht, der Schmach.“ Außerdem wollte ich klar machen, dass das Buch nicht in einem luftleeren Raum stattfindet, sondern dass es sehr konkret an Wirklichkeit gebunden ist. Und wenn so ein Anschlag stattfindet, muss man sich dem literarisch stellen. Man kann sich dann hinterher fragen, ob das gelungen ist. Aber der Text konnte nur weiter gehen unter der Bedingung, dass man kenntlich macht, was passiert ist. Ohne Erklärung, ohne Überleitung, ohne Übergang.

Wo verorten Sie sich auf der gegenwärtigen literarischen Bühne?

Ich versuche nicht, repräsentativ für eine Generation zu sein. Meine Referenzen sind ganz andere. Natürlich komme ich nicht ohne mediale Präsenz aus, aber es gibt Sachen, die ich nicht machen würde. Ich würde mich nie in eine Talk-Show setzen. Wobei ich natürlich nichts dagegen hätte, 100.000 Exemplare zu verkaufen. Aber es gibt Sachen, die haben was mit Würde zu tun.

Wie wird sich der Literaturbetrieb entwickeln?

Seit mehr als 10 Jahren bewegt man sich von Hype zu Hype. Es werden ständig neue Moden und Schreibweisen als verbindlich ausgerufen. So, als bräuchten die Maschinen ständig neues Futter. Und ich habe keine Lust, Futter zu sein. Interview: Klaus Irler