: Szene entdeckt Old Europe
In der Berliner Musik- und Fernsehszene formiert sich Widerstand gegen einen möglichen Irakkrieg. Raver, Schauspieler und Kabarettisten rufen zur Teilnahme an den Montagsdemonstrationen auf
von CHRISTOPH TITZ
Eva Quistorp schwenkt eine große Sonnenblume aus Plastik. „Die Sonnenblume ist das Symbol der Friedensbewegung in den 80er-Jahren“, sagt Quistorp, „und das Symbol einer Partei, die ich gemeinsam mit Petra Kelly mit begründet habe.“ Dann schwenkt sie die Blume nach rechts, hin zu Matthias Roeingh alias Dr. Motte. „Die Sonnenblume tauchte ja auch auf deiner Love Parade wieder auf.“
Im Tempodrom, das Eva Quistorp als ihre „alte Liebe seit 20 Jahren“ bezeichnet, schlug sie, die Mitinitiatorin der Berliner Montagsdemonstrationen, die in der vorigen Woche ihren Auftakt hatten, gestern auf einer Pressekonferenz die Brücke zur Berliner Kulturszene. Love-Parade-Erfinder Matthias Roeingh sagte dort, er wolle mit „seiner Szene“ gegen den Krieg protestieren und den Lügen entgegentreten, „die so umhergehen“. Deshalb werde er am Abend auch am Demonstrationszug teilnehmen und ihn musikalisch unterstützen. Roeingh hatte 1989 unter dem Motto „Friede, Freude, Eierkuchen“ die erste Love Parade in Berlin organisiert. Er gehört außerdem zu den Unterzeichnern der Berliner Erklärung, die Krieg als Mittel gegen den Terror ablehnt und sich für einen stärkeren Multilateralismus einsetzt.
Auch der als „Tatort“-Kommissar Palü bekannte Schauspieler Jochen Senf hat die Berliner Erklärung unterschrieben. Er griff die US-Regierung für ihren Kriegskurs scharf an. Seine Kritikpunkte waren erstens die herrschende „Informationsunsicherheit“ und zweitens, dass er sich durch den Krieg „persönlich bedroht“ sehe. Er erklärte, man müsse zwar den „Schweinehund Saddam Hussein wegschaffen“, eigentlich sei das für die USA aber nur der Vorwand, nationale Interessen durchzusetzen. „Wir bomben uns in eine Zeit vor der Aufklärung zurück“, sagte Senf. Das habe auch Auswirkungen auf „uns Alteuropäer“. Dieser Krieg werde „kein begrenzter Krieg“ bleiben. Auch Senf wollte mit einer Lesung seinen Beitrag zu der Demonstration leisten.
Der Kabarettist Arnulf Rating, der auch das Maulhelden-Festival organisiert, formulierte seine Sicht der Dinge knapper: „Wie der Junkie auf Stoff sind die USA auf Öl aus.“ Außerdem bezeichnete er die harsche Kritik an Europas Opposition zum Krieg als „taktisches Manöver der USA, das den Kontinent spalten solle. Es werde versucht, „die Heimatfront ruhig zu halten“.
Von der Unterstützung durch die Berliner Kulturszene ist Eva Quistorp begeistert, und sie hofft so eine breitere Masse für die Montagsdemonstrationen zu gewinnen. In die wöchentlichen Friedensmärsche, der bisher von Pax Christi und ihr als Vertreterin der Berliner Erklärung und der Frauen für den Frieden organisiert werden, will sie große Organisationen wie Attac jedoch nicht einbinden. Quistorp wehrt sich gegen die „Vereinsmeierei“, die dort herrsche. „Mein Stil ist der einer Bürgerinitiative, wie damals in Lüchow-Dannenberg.“
Am Mittwoch ab 19 Uhr wollen die Prominenten im Tempodrom mit allen Interessierten weitere alteuropäische Antworten zum Thema Irakkrieg finden