: Es war einmal in Neukölln …
Sie hatten keinen Schulabschluss, wenig Geld und viel Zeit. Über zwanzig Eckkneipen und zwei Lottoläden haben sechs Jugendliche überfallen. Ein gemieteter Jaguar wurde ihnen zum Verhängnis
von UWE RADA
Für die einen war es ein Road-Movie ohne Happy End, für die andern eine Bedrohung, der die Polizei nun ein Ende gesetzt hat. Mit den Worten „Die Berliner können jetzt wieder unbeschwert ihr Feierabendbier genießen“ kommentierte Polizeipräsident Dieter Glietsch gestern die Festnahme von sechs Jugendlichen und Heranwachsenden im Alter zwischen 16 und 18 Jahren. Ihnen wird der größte Teil der 22 Kneipenüberfälle der vergangenen dreieinhalb Monate sowie der Überfall auf zwei Lottoläden zur Last gelegt.
Nach Triumph stand der Polizei der Sinn nicht, als sie gestern in einer eilends einberufenen Pressekonferenz die Aufklärung der Überfälle verkünden konnte, wohl aber nach Genugtuung. Anders als es eine Zeitung zuvor berichtet hatte, war es nämlich kein Tipp aus der „Unterwelt“, der den Fahndern den spektakulären Erfolg bescherte, sondern, so Glietsch, „reine Polizeiarbeit“.
An deren Ende stand der Einsatz eines Spezialeinsatzkommandos im Charlottenburger Halemweg in der Nacht vom Samstag zum Sonntag. Vier der sechs mutmaßlichen Täter erwischten die Beamten auf frischer Tat. Sie hatten gerade ihre Sturmhaube aufgesetzt und wollten erneut eine Kneipe überfallen. Zwei weitere wurden nach den Aussagen eines Verdächtigen festgenommen. Die Festgenommenen sind weitgehend geständig, hieß es gestern. Außerdem habe die Polizei bei Wohnungsdurchsuchungen zahlreiche Beweismittel sichergestellt, darunter auch Schreckschusspistolen sowie 15 Geldbörsen, die den Opfern der Überfälle entwendet worden waren.
Die Serie der Überfälle auf die alle im Westteil der Stadt gelegenen Kneipen hatte am 5. Oktober im Lokal „Zum Bären“ in Charlottenburg begonnen. Doch die „Story of Neukölln“ begann viel früher. Fünf der sechs mutmaßlichen Täter stammen aus Neukölln, wie die Polizei gestern mitteilte. Es sind drei 18-jährige und ein 17-jähriger Türke, die in Berlin geboren wurden, sowie ein 16-jähriger Syrer. Hinzu kommt noch ein 18-jähriger Iraker aus Kreuzberg. „Alle sechs“, sagte Manfred Schmandra, der die Ermittlungen im Landeskriminalamt geleitet hatte, „haben die Schule oder Lehre abgebrochen und leben noch bei ihren Eltern.“ Vier waren der Polizei wegen Hehlerei, Landfriedensbruch und anderer Delikte aufgefallen.
Es war nicht das große Geld, das die Jugendlichen gesucht haben, als sie mit dem Opel Vectra des Vaters eines der Festgenommenen des Nachts auf Tour gingen. Die Beute beläuft sich insgesamt auf nur 10.000 bis 12.000 Euro. „Aber die Jugendlichen, die fast alle in einem Kiez lebten, hatten viel Zeit“, sagt Manfred Schmandra.
Und sie hatten offenbar nicht immer einen genauen Tatplan. So wie in der Nacht zum Sonntag, als die Sondereinsatzkommandos sich an den Opel gehängt hatten. Zuerst ging die Tour nach Steglitz, wo der Wagen um 22 Uhr langsam an einigen Kneipen vorbeifuhr, danach in den Wedding und nach Charlottenburg. Im „Bären“, wo alles begonnen hatte, sei ein zweiter Überfall geplant worden, sagte Schmandra, doch in der Kneipe seien zu viele Gäste gewesen. Nach einer erneuten Fahrt durch Steglitz hatten sich die Jugendlichen die Kneipe „Im Zentrum“ im Halemweg ausgesucht. Um 1.30 schnappte die Falle zu.
Auf der Spur des Opel Vectra waren die Fahnder aber schon ab dem 7. Januar. An diesem Tag fiel einer Polizeistreife ein kiezunüblicher Jaguar auf, den vier Jugendliche gemietet hatten. Wenig später entdeckten die Beamten einige der Insassen in einem Opel Vectra wieder, jenem Autotyp, der der Polizei bereits als Fluchtfahrzeug der Kniepenüberfälle bekannt war. Bei einer anschließenden Fahrzeugüberprüfung fanden die Beamten einen Rucksack mit Schlagstöcken und Schreckschusspistolen. Das reichte zwar nicht für eine Festnahme, wohl aber für einen Tipp ans LKA. Das wiederum veranlasste eine Observation und Telefonabhörung. Ende letzter Woche, so Schmandra, fielen am Telefon dann die Worte: „Hast du die Waffen?“
Den Festgenommenen drohen nun mehrjährige Jugendstrafen. Die Täter waren bei ihren Diebeszügen gegen die meist angetrunkenen Gäste mit großer Brutalität vorgegangen.