: „Der herbe Duft vom großen Reich“
Das „Handbuch Rechtsradikalismus“ durchdringt das Dickicht rechter Netze – ohne deren Verbindungen in die Mitte der Gesellschaft zu beschreiben
Rechtsextremisten rebellieren gegen die Moderne – gegen Rechtsstaat und Demokratie, gegen die offene Gesellschaft und die Vielfalt von Kulturen. Stattdessen streben sie den autoritären Volksstaat an und die Zwangsnormalität der Volksgemeinschaft. Menschenrechte werden zugunsten der Privilegien eines ethnisch homogenen Volkes negiert.
Für rechtsextreme Positionen agitieren teils prominente Publizisten; Verlage, Labels und Vertriebe bringen vom Rudolf-Heß-T-Shirt über Parfum („Nationalist – der herbe Duft vom großen Reich“) bis zum Esoterikbuch die Werbung für rechts außen in Umlauf. Parteien und Organisationen suchen die Zahl ihrer Mitglieder zu erhöhen.
Die Fülle der Themen und Medien, das Dickicht der Bündnisse und Netze, der Umbenennungen und Pseudonyme lassen sich nur durch regelmäßig aktualisierte Beobachtungen durchdringen: Bernd Wagner hat 1994 ein knappes „Handbuch Rechtsextremismus“ herausgegeben, Jens Mecklenburg folgte 1995 mit dem „Handbuch des deutschen Rechtsextremismus“. Das nun vorgelegte „Handbuch Rechtsradikalismus“ setzt diese Tradition fort. Der Schwerpunkt liegt auf dem aktuellen Rechtsextremismus in Deutschland. Eigene Beiträge sind Mittel- und Osteuropa und den internationalen Vernetzungen gewidmet.
Das Konzept des knapp 550 Seiten starken Bandes ist überzeugend. In gut der Hälfte des Bandes widmen sich Fachartikel einzelnen Themen, seien es umfassende Fragen wie die Begriffsbildung und Kategorisierung, seien es Akteure wie rechtsradikale Intellektuelle, Aspekte wie Mythologie und Okkultismus oder die Symbolik in der rechtsextremen Jugendkultur.
Die anschließenden Lexikonteile informieren über rechtsextreme Aktivisten und Organisationen, Verlage, Vertriebe und den Versandhandel sowie über Bands und Musiker. Die NPD-Funktionäre Holger Apfel und Doris Zutt sind hier ebenso aufgeführt wie die Hammerskins, der „Verlag Zeitenwende“ oder die Band „Landser“.
Das Handbuch gibt einen weiten Überblick. Der Verfassungsschützer Armin Pfahl-Traughber erläutert einmal mehr die These, dass der Rechtsextremismus als Partei und Ideologie im Westen der Republik beheimatet ist, während Aktionen, Parolen und Gewalt ein Kennzeichen des Ostens sind. Der Sozialwissenschaftler Dieter Rucht klassifiziert den aktuellen Rechtsradikalismus – entgegen seiner früheren Theorie – als soziale Bewegung. Deshalb sollten in Zukunft die Ergebnisse der Bewegungsforschung stärker als bislang für die Untersuchung des Rechtsradikalismus genutzt werden. Die Autoren benennen ihre Untersuchungsaspekte deutlich und arbeiten mit einer klaren Begrifflichkeit, so dass die Beiträge beinahe durchweg auf hohem Niveau geschrieben sind. Insbesondere Renate Bitzans Aufsatz über Frauen in der rechtsextremen Szene ist aufgrund der überaus akribischen Recherche von hoher Qualität.
Einige Texte von Bewegungsunternehmern „gegen rechts“ sind hingegen weniger gelungen. Ausgesprochen ärgerlich ist der Beitrag von Sven Pötsch über Rechtsrock. Er stützt sich nicht nur zu stark auf Sekundärliteratur, sondern leistet sich auch zum Teil absurde Fehleinschätzungen. So behauptet er beispielsweise, die Gewinne, die im Geschäft mit illegalen Rechtsrock-CDs zu erzielen seien, ließen sich nur mit denen im Waffen- oder Drogenhandel vergleichen. Tatsächlich jedoch, und dies wäre ihm bei Kenntnisnahme von Primärquellen aus der Szene aufgefallen, befinden sich die Rechtsrock-Händler unter anderem aufgrund der Möglichkeit, Musik im mp3-Format kostenlos aus dem Internet herunterzuladen, gegenwärtig in einer Absatzkrise. Reich wird mit Rechtsrock niemand mehr.
Der Beitrag von Margret Chatwin zur Rolle des Antisemitismus im Rechtsextremismus steht im ungebrochenen Bann der Vorstellung, es gebe einen einzigen Antisemitismus und dieser erscheine lediglich in verschiedenen Formen: als offener Antisemitismus, als Friedhofsschändung, als christlicher Antijudaismus, getarnt etwa als Antizionismus. Mit dieser Sichtweise werden die historisch wechselnden Kontexte systematisch ausgeblendet. Selbst rassentheoretische Wahngebilde können noch danach unterschieden werden, ob sie auf eine Rücknahme der staatsbürgerlichen Gleichheit der Juden, auf deren Deportation oder Vernichtung ausgelegt sind. Antijüdische Propaganda nach 1945 bezieht sich in Deutschland thematisch auf die nationalsozialistische Judenvernichtung, die westdeutsche Wiedergutmachung oder auf den Nahostkonflikt. Man sagt also deutlich zu wenig, wenn man solche sehr unterschiedlich gelagerten Zusammenhänge nur so wahrnimmt, dass sich hier antisemitische Äußerungen finden.
Schwächen zeigen sich ebenso im lexikalischen Teil. Hier rächt sich eine weitgehende Weigerung, die Zeitschriften und Fanzines der Szene zu untersuchen. Die Autoren dieses Teils greifen zu stark auf Sekundärliteratur zurück: Es finden sich kaum neue und aktuelle Informationen. Schwerwiegender noch ist die Tatsache, dass wesentliche Organisationen gerade aus der Grauzone zwischen Rechtsextremismus und Konservatismus wie die Deutsche Burschenschaft, die in ihrer Bedeutung als Kaderschmiede für Rechtsintellektuelle nicht unterschätzt werden kann, nicht aufgeführt werden. Dadurch wird der Anspruch der Herausgeber, einen Überblick vom Neonazismus bis in die Mitte der Gesellschaft zu geben, trotz einiger sehr guter Einzelbeiträge letztlich nicht eingelöst. MICHAEL KOHLSTRUCK
Thomas Grumke/Bernd Wagner (Hg.):„Handbuch Rechtsradikalismus“,546 S., Leske & Budrich, Opladen 2002, 29,90 €