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Archiv-Artikel

Acrylamid wird unterschätzt

Bis zu 12.000 Krebstote in Deutschland werden durch das Lebensmittelgift verursacht. Experten fordern auf einer Anhörung eine Reduzierung der täglichen Giftdosis

BERLIN taz ■ „Die Gefahr durch Acrylamid wird immer noch unterschätzt“, warnte gestern auf der Expertenanhörung des Verbraucherausschusses der Kölner Pharmakologe Edgar Schömig. Lege man die Abschätzungen der schwedischen Behörden zugrunde, so müsse jährlich mit 8.000 bis 12.000 zusätzlichen Krebstoten in Deutschland durch Acrylamid gerechnet werden, sagte Schömig – etwa 3 Prozent der tödlichen Krebsfälle.

Der Forscher räumte zwar ein, dass diese Daten noch nicht gesichert seien. Trotzdem bestehe dringender Handlungsbedarf, war die fast einhellige Meinung unter den geladenenen Experten. „Es gibt ein Risiko und das ist verdammt hoch“, sagte zum Beispiel Stephan Madle vom Bundesinstitut für Risikobewertung.

Grund zu Besorgnis ist vor allem der geringe Sicherheitsabstand zu den Konzentrationen, die in Tierversuchen eindeutig als krebsauslösend erkannt wurden. Während wir bei anderen gesundheitsschädlichen Stoffen in unserer Nahrung nur ein Hunderttausendstel oder ein Millionstel der Menge aufnehmen, die in Tierversuchen eindeutig als schädlich gemessen wurde, „liegt der Faktor bei Acrylamid bei 100“, sagte Madle.

Auch in Zukunft werden wir mit Acrylamid leben müssen. Bei allen Lebensmitteln, die Stärke oder Zucker sowie Proteine enthalten, entsteht bei hohen Verarbeitungstemperaturen das Krebsgift. Die einzige Möglichkeit das Risiko zu minimieren ist die Reduzierung der Aufnahme.

Die Bundesregierung hat dazu ein „Minimierungskonzept“ aufgestellt, bei dem in einzelnen Warengruppen die am stärksten belasteten Produkte ermittelt werden. In Gesprächen mit den Herstellern wird dann versucht, durch Änderung des Verarbeitungsprozesses die Belastung zu mininimieren. So konnten bei Pommes frites durch Herabsetzung der Frittiertemperatur die Höchstwerte drastisch reduziert werden. „Hatten wir früher noch Spitzenwerte von 3.500 Mikrogramm, so konnte erreicht werden, dass jetzt in einem Kilogramm Pommes dieser Wert unter 500 bleibt“, sagte Christian Grugel, Präsident des Bundesamtes für Verbraucherschutz.

Ein Risiko bleibt dennoch. Denn: „Einen Schwellenwert für Acrylamid wird es vermutlich auch in Zukunft nicht geben“, sagte Schömig. Die Experten gehen davon aus, dass es ähnlich wie bei radioaktiver Strahlung keinen Wert gibt, der als unschädlich bezeichnet werden kann. WOLFGANG LÖHR