: Nicht jeder sexuelle Missbrauch ein Verbrechen
Der geplante Gesetzentwurf von Rot-Grün fällt zurückhaltender aus als von Justizministerin Zypries (SPD) gefordert
FREIBURG taz ■ Sexueller Missbrauch von Kindern wird auch künftig nicht generell als Verbrechen bestraft. Darauf haben sich SPD und Grüne geeinigt, wie die taz jetzt aus Koalitionskreisen erfuhr. Ein gemeinsamer Gesetzentwurf zur Reform des Sexualstrafrechts soll am Mittwoch der Presse vorgestellt werden.
Ursprünglich hatte Justizministerin Brigitte Zypries vorgeschlagen, dass sexueller Kindesmissbrauch generell mit einer Mindeststrafe von einem Jahr bedroht werden sollte. Bei Grünen und dem Deutschen Anwaltverein gab es allerdings viel Kritik an Zypries’ Vorschlag. Auch die SPD-Fraktion war skeptisch. Denn die Verschärfung hätte vor allem mittelschwere Fälle wie das Grabschen eines Schwimmtrainers erfasst, da „schwere Fälle“ schon heute als Verbrechen eingestuft sind.
Befürchtet wurde, dass die Einstufung von durchschnittlichen Missbrauchsfällen als Verbrechen nicht zuletzt die Opfer belastet hätte, weil eine Einstellung des Verfahrens nicht mehr möglich gewesen wäre. Auch hätte die Gefahr bestanden, dass solche Vorkommnisse gar nicht mehr angezeigt oder vor Gericht als „minder schwerer Fall“ eingestuft worden wären, um eine überharte Bestrafung zu vermeiden.
SPD und Grüne haben sich deshalb darauf geeinigt, es im Wesentlichen bei der jetzigen Rechtslage zu belassen, wonach der sexuelle Missbrauch im Regelfall mit Freiheitsstrafe von sechs Monaten bis zu zehn Jahren bestraft wird. Als Kompromiss werden lediglich weitere schwere Fälle im Strafgesetzbuch erwähnt. Das macht die Regelung zwar noch komplizierter, schadet aber vermutlich nicht.
Daneben sollen auch einige „Rechtslücken“ geschlossen werden. So soll es künftig strafbar sein, Kinder im Internet als Sexobjekt anzubieten oder sich zum sexuellen Missbrauch zu „verabreden“, ohne dass es zum konkreten Versuch der Tat kommt.
Die wohl folgenreichste Änderung im Sexualstrafrecht hat Ministerin Zypries am Wochenende in Bild am Sonntag angekündigt. Wer von einem bevorstehenden oder andauernden sexuellen Missbrauch erfährt, muss diesen künftig der Polizei oder den Behörden melden, sonst macht er sich selbst strafbar. Bisher bezieht sich Paragraf 138 des Strafgesetzbuches („Nichtanzeige geplanter Straftaten“) vor allem auf Taten wie Völkermord, Mord und räuberische Erpressung. Jetzt sollen auch Kindesmissbrauch und Vergewaltigung aufgeführt werden.
„Wir erwarten, dass Menschen im Umfeld der Opfer sich einmischen und den Missbrauch verhindern“, sagte Zypries zur Erläuterung. Auch die Grünen sind einverstanden, dass künftig gegen die „Weggucker“ vorgegangen werden kann, erklärte deren rechtspolitischer Sprecher Jerzy Montag.
Damit die Regelung zu sinnvollen Ergebnissen führt, haben die Grünen jedoch auf vier Einschränkungen bestanden. Erstens können nur über 18-Jährige wegen Nichtanzeige eines Missbrauchs bestraft werden. Die 15-jährige Freundin des Opfers soll nicht vor Gericht kommen. Zweitens sollen nur Missbrauchsfälle erfasst werden, bei denen die fehlende sexuelle Selbstbestimmung von Kindern gezielt ausgenutzt wurde. Der Beischlaf eines 15-Jährigen mit seiner 13-jährigen Freundin, der formal auch als sexueller Missbrauch gilt, muss nicht angezeigt werden. Schließlich sollen Lehrer, Erzieher und Psychologen ebenso von der Anzeigepflicht ausgenommen werden, wie diejenigen, die sich ernsthaft bemühen, den Missbrauch abzuwenden – etwa indem sie das Kind in heiklen Situationen zu sich nehmen.
Unklar ist noch, ob Sexualstraftäter künftig generell in der Wiesbadener DNA-Datenbank erfasst werden sollen. Dies war zwischen SPD und Grünen lange Zeit umstritten. CHRISTIAN RATH
kommentar SEITE 12