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Archiv-Artikel

Vor verschlossener Praxistür

Fachärzte protestieren gegen die Pläne der Bundesregierung: Ab heute bleibt täglich ein Fünftel der Praxen dicht – fünf Wochen lang. Gesundheitssenatorin und Kassen drohen mit Konsequenzen

von SABINE AM ORDE

Wer heute zum Haut-, Augen- oder einem anderen Facharzt will, der könnte vor verschlossenen Türen stehen. Denn die Protestwelle der Ärzte gegen die Reformen der rot-grünen Bundesregierung hat Berlin erreicht. Während allerdings in anderen Regionen noch vom „Dienst nach Vorschrift“ oder von „Praxisschließung zwecks Fortbildung“ die Rede war, gehen die Berliner Ärzte rabiater vor. „Wir werden die medizinische Versorgung reduzieren“, kündigte gestern der Sprecher der Gemeinschaft der Fachärztlichen Berufsverbände (GFB), Albrecht Scheffler, an. Konkret heißt das: Ab heute sollen fünf Wochen lang täglich ein Fünftel der Facharztpraxen der Stadt geschlossen bleiben.

Unterstützung erhoffen sich die Fachärzte von den Allgemeinmedizinern und den Kinderärzten, die sich jedoch weit zurückhaltender äußern. Auch, weil sie für die unmittelbare Akutversorgung der Patienten zuständig sind. Wie viele Praxen dem Protestaufruf letztlich folgen werden, ist schwer abschätzbar. Insgesamt gibt es in Berlin 3.266 niedergelasse Fach- und 2.799 Hausärzte.

Die Pläne der Bundesregierung würden darauf hinauslaufen, dass fachärztliche ambulante Behandlungen an den Krankenhäusern erfolgen und die Facharztpraxis an der Ecke verschwindet, kritisierte GFB-Sprecher Scheffler. Auch der Hausarzt solle die Patienten als Lotse „nur noch kostengünstig durch das System steuern“. Für die Patienten seien längere Wartezeiten, lange Wege und unpersönliche Betreuung durch verschiedene Klinikärzte die Folge, wie dies schon in anderen europäischen Ländern der Fall sei. „Mit der Protestaktion wollen wir simulieren, was die Regierung plant“, sagte Thomas Stavermann, Vorsitzender des Berufsverbandes der Deutschen Dermatologen. „Es gehen 20 Prozent der niedergelassenen Mediziner, vor allem Fachärzte, vom Netz“ – das sei genau der Anteil, den die Politiker für zu viel in Berlin halten.

Damit ihnen niemand vorwerfen kann, die Versorgung der Patienten nicht zu gewährleisten, hat die GFB gemeinsam mit der Kassenärztlichen Vereinigung (KV) die Protestaktion generalstabsmäßig geplant. An jedem Werktag sollen die Praxen bestimmter Altbezirke schließen, die Ärzte der Nachbarbezirke dann auf jeden Fall im Dienst sein (siehe Kasten). „Macht Kreuzberg dicht, hat Friedrichshain offen“, heißt es in der KV, die laut Gesetz die Patientenversorgung sicherstellen muss.

Die Gesundheitsverwaltung hat unterdessen angekündigt, die Ärzteproteste genau zu beobachten. „Wenn die Versorgung nicht sichergestellt ist, werden wir aufsichtsrechtlich aktiv werden“, sagte Gesundheitssenatorin Heidi Knake-Werner (PDS). Das sei der Fall, wenn ein ganzer Bezirk bestreikt werde oder tausend Ärzte auf einmal die Arbeit niederlegen. Die Krankenkassen haben unterdessen die „Proteste zu Lasten der Patienten“ als „unverantwortlich“ kritisiert. Sie empfehlen den Versicherten, geschlossene Praxen bei ihnen oder der Gesundheitsverwaltung zu melden. Die BKK Berlin geht härter vor: Sie will die Zahlungen an die KV pro Streiktag um 30.000 Euro reduzieren.