Fäkalien und Wasser

Neukölln überflutet

Von der Karl-Marx-Straße schießen Wassermassen in den U-Bahnschacht. Davor drängeln sich die Menschen. Die einen rauchen, andere schütteln den Kopf (sie wollen schnell zu Tchibo, da gibt es neue Angebote).

Bis ich die Neukölln-Arcaden erreicht habe, bin ich durchnässt. 300 Wartende schieben sich dort herum. Die Sichtweite liegt drei Meter unter dem üblichen Karl-Marx-Straßen-Smog, so stark regnet es. Es hilft nichts: Die Regenbäche überspringend renne ich zum Lidl-Eingang. Die Tätowierten machen aber keinen Platz. Auch unter dem Apothekenvordach rückt niemand. Sogar auf dem stinkenden Entlüftungsschacht von Feinkost Kropp steht man dicht gedrängt.

Trotz regennasser Brille halte ich die Chance, noch zwischen die Kinderwagen, Bierkästen und Bulldoggen in den Fußgängertunnel am alten Hertie zu passen, für gering. Aber ich sprinte – und bremse vor dem reißenden Fluss, der die Neckarstraße hinunter kommt. Das Wasser hat bereitsden Bürgersteig verschluckt.

Aus den Gullis auf dem Gehweg quillt bereits eine braune Mischung. In ganz Berlin sind die Brunnen abgeschaltet, nur hier sprudeln Fontänen aus Fäkalien und Wasser! Wie ein aufgescheuchtes Huhn versuche ich die Hauptstraße zu überqueren. Bei Grün setze ich über die erste Pfütze am Straßenrand. Die äußere Spur auf der anderen Seite aber ist ein brauner Tümpel, drei Meter breit und so lang wie Neukölln. Schon hupt der Bus und fährt an, ich springe ins Wasser. Ich lande an der tiefsten Stelle. Die Leute unter der Dönerladen-Markise lachen, die Brühe ist bis unter die Brille gespritzt.

Den Gehweg habe ich nun für mich allein. Auch im Burger King sitzt jeder auf seinem Platz und guckt zufrieden nach draußen.

SONJA VOGEL