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Archiv-Artikel

Agrarreform ohne festen Boden

Geht es nach EU-Agrarkommissar Fischler, sollen Bauern anders als bisher künftig Grundgehalt bekommen. Nicht nur Frankreich kündigt „totale Opposition an“

BRÜSSEL taz ■ Als „mutigen und ausgewogenen Vorschlag“ bezeichnete Hollands Landwirtschaftsminister Cees Veerman am Montagabend die Reformvorschläge der EU-Kommission. Agrarkommissar Franz Fischler will künftig Klasse statt Masse: Der Milliardensegen aus Brüssel soll nicht länger Batteriehähnchen und Hormonschweinen zugute kommen, sondern Qualitätsnahrungsmittel fördern.

An dem Projekt, verkrustete Subventionsstrukturen gegen den Widerstand der Bauernlobby aufzubrechen, haben sich vor Fischler schon andere Agrarkommissare die Zähne ausgebissen. Die Debatte der Agrarminister, die im Bemühen um mehr Bürgernähe neuerdings gelegentlich öffentlich tagen, machte deutlich, warum.

Denn der Holländer stand mit seinem Lob ziemlich allein. Nur Schweden, Dänen, Briten und Deutsche unterstützen die Idee, jedem Bauern künftig ein Grundgehalt unabhängig davon zu zahlen, wie viel er produziert. Berechnungsgrundlage soll der Durchschnitt aus den EU-Zuschüssen der letzten drei Jahre sein. Landwirtschaftsministerin Renate Künast billigt diese so genannte Entkoppelung des Einkommens von der Produktion aber nur, wenn die Grünlandhöfe mehr gefördert werden als in Fischlers Plänen vorgesehen.

Fast alle anderen Minister lehnen die Idee kategorisch ab. Frankreichs Fachminister Hervé Gaymard kündigte „totale Opposition“ an und ging auch mit den anderen Vorschlägen der Kommission hart ins Gericht: „Es ist im Prinzip vernünftig, die Subventionen an Umweltauflagen zu binden. Aber es schüttelt einen, wenn man sieht, wie die Kommission das umsetzen will. Den Kontrollen sollen 38 Richtlinien zugrunde liegen. Die Bürokratie, die damit verbunden wäre, ist nicht nur fürchterlich, sondern auch völlig ineffizient.“ Ähnlich vernichtend fiel der Kommentar seines spanischen Kollegen aus. Noch seien die Beschlüsse der letzten Reform nicht umgesetzt – da sollten sich die Bauern schon wieder auf neue Förderregeln einstellen, klagte Miguel Arias Cañete.

Der Widerspruch gegen Fischlers Pläne verbindet Länder, die sonst in der Landwirtschaftspolitik gegensätzliche Standpunkte vertreten. Die Entkoppelung lehnen Finnen ebenso ab wie Portugiesen, Iren wie Österreicher, Spanier, Franzosen, Italiener und Griechen. Sie fürchten, Regionen mit ungünstigen Klimaverhältnissen oder schlechten Böden veröden, weil sich der Anbau wirtschaftlich nicht mehr lohnt.

„Die Entkoppelung trifft Irland besonders hart und ist mit dem Ziel einer flächendeckenden Landwirtschaft in ganz Europa unvereinbar“, sagte der irische Landwirtschaftsminister Joe Walsh. „Wir gehen davon aus, dass der Bestand an Mutterkühen um 30 Prozent und die Schafzucht um 11 Prozent zurückgehen wird. Und davon leben in Irland vor allem die wirtschaftlich schwachen Regionen“, warnte Walsh.

Eine breite Koalition der Südländer will in der laufenden Finanzperiode bis 2006 überhaupt nichts am derzeitigen System ändern. In Frankreich könnte das zu internem Streit zwischen Agrar- und Finanzministerium führen. Denn Staatspräsident Chirac hat dem Bundeskanzler im Oktober versprochen, dass für die Agrarförderung der neuen Mitgliedsländer die Mittel nicht aufgestockt werden. Vom nächsten Jahr an sollen schrittweise Mittel, die durch Fischlers Reform frei würden, nach Osten umgelenkt werden. Die nächste Bauerndemo ist vorprogrammiert.