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Archiv-Artikel

Nie mehr Lambada in der Überseestadt

Das Waller Hafen-Casino, Aufwärm-Stube der Trucker, Hafenarbeiter und „Damen mit Lacktäschchen“ soll im März einer Baumreihe weichen. Die Kneipe, sagen die Planer der schicken Überseestadt, „passt hier nicht ins Bild“. Gegen die „Kultur-Zerstörung“ protestieren Kunst-Professoren

taz ■ „Das passt hier nicht mehr ins Bild.“ Rita Otten kann den Spruch nicht mehr hören. Jahrzehntelang gehörte Ottens Hafen-Casino „Trucker Stop“ zum Hafen wie der Roland zum Marktplatz. Jetzt soll die Kneipe am Waller Stieg einer baumbestandenen „Flaniermeile“ weichen – als Zugang in die neue, schicke „Überseestadt“.

Auf dem blinkenden Spielautomaten steht Brummi, die „Fern-Schnell-Gut“-Ikone mit den sechs Rädern unter dem dicken Bauch. Trucker schauen hier morgens zum Frühstück mit Gewürzgurke vorbei. Dort gibt es Duschen zum frisch machen. Außerdem füllen sich die Brummifahrer im Hafen-Casino mit Kaffee ab.

Das Preissystem ist amerikanisch. Dabei zählt nur die erste Tasse, dann gibt es Fill ups bis zum Abwinken. Auch ganze Thermoskannen werden für sagenhafte 1,80 Euro aufgefüllt. Der Kaffee-Pott wird auf Haake-Beck-Filz serviert, am Trinkrand ist die Glasur abgesprungen. „Eine Hafenkneipe muss ein bisschen schmuddelig sein“, sagt der Schlosser aus einer Werkstadt nebenan: „Sterile Kneipen gibt’s genug.“

Mittags schlagen sich die Arbeiter aus den umliegenden Betrieben den Magen mit „Bockwurst auf Sauerkraut mit Püree und Soße“ voll – und abends kommen die „Damen mit dem Lacktäschchen“ von der Straße herein, um sich aufzuwärmen. „Das ist eigentlich eine soziale Einrichtung hier“, sagt Pächterin Otten.

Die Stadtplaner schert das wenig, dem Idyll droht das Aus. Sie kündigten den Pachtvertrag. Seit Oktober ist der „Trucker Stop“ nur noch „geduldet“. Aus „städtebaulichen Gesichtspunkten“, sagt BIG-Sprecher Lutz Ruminski, müsse dort eine Freifläche hin: „Sobald der Termin für den Abriss steht, müssen die da raus.“ Nächste Woche soll der detaillierte „Masterplan Überseestadt“ zwischen PlanerInnen und PolitikerInnen festgeklopft werden.

Der Pächterin habe man aber ein Ersatzgrundstück in der Nachbarschaft angeboten, sagt Ruminski. „Irgendwo in der Ecke und auch nur vorübergehend“, kommentiert Otten.

„Früher haben wir hier Lambada getanzt“, sagt ein Schlosser und stützt seine fleischigen Arme auf der altrosa Fransen-Tischdecken ab, die auf dem vergilbten Resopaltisch liegt. Seit 40 Jahren ist er Stammgast im „Trucker Stop“.

„Das gehört zum Charme von Walle“, sagen die StudentInnen von der Hochschule für Künste (HfK), die im Sommer in den benachbarten Speicher XI ziehen werden.

Unterstützung für die Kneipen-Baracke gegenüber der alten Hafen-Feuerwache kommt jetzt von der HfK. „Wir wollen nicht in den Hafen ziehen, wenn da alles glatt ist“, sagt Design-Student Nadino Meinecke. Mit einem selbstgedrehten Video-Schnipsel gehen die Nachwuchs-Künstler derzeit auf Unterschriften-Fang für das Hafen-Casino.

Ganz oben auf der Liste: HfK-Rektor Peter Rautmann. Sogar Speicher XI-Investor Klaus Hübotter hat unterschrieben. Einstimmig hat sich am Mittwoch sogar der Akademische Senat der HfK für den Erhalt des Hafen-Casinos ausgesprochen.

Das freut die Gäste im „Trucker Stop“. „Es ist ja schon fast Tradition, dass die Politik gut gehende Betriebe dicht machen will“, sagt ein Stammgast. Ein anderer meint: „Wo soll ich sonst essen gehen?“

Rita Otten hat inzwischen umgedacht: Sie hat angeboten, dass „Trucker Stop“ auf Vordermann zu bringen. Damit ist sie jedoch bislang auf taube Ohren gestossen.

Hoffnung hat sie deshalb nur noch wenig. Wahrscheinlich ist im März Schluss mit dem Hafencasino. Otten, sarkastisch: „Wahrscheinlich baut man irgendwann ein Museum und stellt das nach.“

Armin Simon