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Archiv-Artikel

Absprung in die Spirale nach unten

Vom Arbeitslosen zum Existenzgründer: Seit dem 1. Januar soll das mit den Ich-AG-Regelungen gehen. Statt auf Jubel stoßen die Zuschüsse bei Handwerkskammer und Bauindustrie vor allem auf Kritik. Sie sehen in Berlin keinen Markt

Endlich frei. Kein Chef, keine Vorschriften und keine Angestellten. So sieht das Konzept der neuen Unternehmensgründungen aus. Die Ich-AG soll Arbeitslose mit Unterstützung vom Staat wieder ins Berufsleben integrieren. Für Einmannbtriebe und Familien-AGs mit einem Einkommen unter 25.000 Euro jährlich gibt es nach den Vorschlägen der Hartz-Kommission seit diesem Jahr monatlich Geld vom Arbeitsamt. Im ersten Jahr 600 Euro, im zweiten 360 Euro und im dritten Jahr 240 Euro.

Mindestens 9.000 Ich-AG-Neugründungen erwartet Klaus Pohl, Sprecher des Landesarbeitsamtes, in diesem Jahr in Berlin. Das Neue am Konzept der Ich-AG ist nur die stufenweise Verteilung des Zuschusses auf drei Jahre. Denn auch bisher war es möglich, sich als Arbeitsloser selbstständig zu machen und dabei Unterstützung vom Arbeitsamt zu beziehen. Mit dem so genannten Überbrückungsgeld gibt es sechs Monate lang die zuletzt bezogene Arbeitslosenunterstützung. 7.500 Arbeitslose wurden so im letzten Jahr bei einer Gewerbeanmeldung mit etwa 7.000 bis 10.000 Euro unterstützt.

Für Pohl hat die neue Ich-AG aber vor allem einen Vorteil. „Jetzt können sich Existenzgründer aussuchen, wie sie das Geld beziehen möchten: auf einmal, wie beim Überbrückungsgeld, oder, wie seit dem 1. Januar möglich, in Raten.“ Für die Handwerkskammer Berlin ist die Ich-AG allerdings keine Alternative zum Überbrückungsgeld. Geschäftsführer Thomas Dohmen hält die wirtschaftlichen Voraussetzungen sogar für denkbar schlecht. „Wenn wir einen boomenden Markt hätten, würde ich das Konzept befürworten, aber unter den jetzigen Umständen nicht“, sagt Dohmen. Denn nur die „Anbieter werden mehr“, während das Auftragsvolumen bliebe.

Die Baubranche sieht es sogar noch radikaler. „Die Ich-AG ist für die Bauindustrie eine Spirale nach unten“, sagt Hans Erdmann, Sprecher des Bauindustrieverbandes Berlin-Brandenburg. Heute gibt es mehr Firmen am Markt als zu Hochzeiten des Baubooms, dabei wird der „Baukuchen immer kleiner“. Neugründungen entstehen heute auch nicht mehr aufgrund neuer Produktideen, sondern mehr und mehr „aus Insolvenzen heraus“.

Letztendlich verschlechtere sich die Lage für all diejenigen Firmen, die noch am Markt sind. Denn der Konkurrenzdruck ist so groß, dass viele Betriebe an die Preisuntergrenze gedrückt würden. Nach einer Studie der Fachgemeinschaft Bau arbeitet jeder zweite Bauarbeiter schwarz. Doch gerade die Schwarzarbeit soll durch die Einführung der Ich-AG bekämpft werden. Allerdings käme das für zwei Drittel der Schwarzarbeiter sowieso nicht in Frage. Sie gehen hauptberuflich einer legalen Beschäftigung nach.

Nach dem Auslaufen des Zuschusses könnten die Ich-AGler laut Thomas Dohmen genau dort landen, wo sie angefangen haben: in der Arbeitslosigkeit.

AGNES CIUPERCA