: Klassische türkische Zukunftsmusik
Seit zehn Jahren gibt es in der Kreuzberger Bergmannstraße ein Türkisches Konservatorium. Hier können sich junge Musiker an klassischen türkischen Instrumenten ausbilden lassen. Allerdings sind die Studiengänge noch nicht staatlich anerkannt
VON ELISE LANDSCHEK
Meral Cihan ist aufgeregt, sie probt nicht gern vor Publikum. „Ich spiele erst seit vier Jahren“, sagt sie bescheiden und atmet noch einmal tief durch. Die 39-Jährige ist ganz in Schwarz gekleidet, auf ihren Knien hält sie eine Tanbur, eines der ältesten traditionellen Zupfinstrumente der Türkei. Ihre Finger eilen über den fast anderthalb Meter langen Hals. Meditative, ruhige Töne kommen aus dem runden, hölzernen Bauch des Instruments. Die verschlungenen Melodielinien erinnern an Tausendundeine Nacht. „Diese Musik versetzt mich in eine andere Zeit, in die Türkei vor 500 Jahren. Wenn ich spiele, sehe ich sie ganz deutlich vor mir, die Rosengärten der türkischen Paläste, die Sultane, die Frauen in langen Gewändern“, schwärmt sie, ihre dunklen Augen blitzen.
Meral Cihan ist Teilzeitstudentin am Türkischen Konservatorium in Berlin, „das einzige seiner Art in Deutschland“, wie Direktorin Halime Karademirli stolz betont. Insgesamt um die 250 Schüler nehmen hier Unterrichtsstunden in klassischer und traditioneller türkischer Musik, Gesang und Volkstanz – oder lassen sich in der schuleigenen Werkstatt zum Zupfinstrumentenbauer ausbilden. Das Prinzip der Schule erinnert an eine herkömmliche Musikschule: Das Unterrichtsangebot bedient alle Altersgruppen, vom Kleinkind bis zum Rentner. Das besondere sind jedoch die fünf Studiengänge, in denen die Studenten in drei Jahren ein Diplom in beispielsweise klassischer türkischer Musik oder traditionellem Gesang erreichen können.
Der kleine, weiß-gelb gestrichene Flachbau der Musikschule liegt unauffällig auf dem zweiten Hinterhof eines Wohnhauses im Kreuzberger Bergmannstraßenkiez. Es ist ein verregneter Herbsttag, die grauen Wolken hängen so tief, dass sie fast die Schornsteine der Kreuzberger Gründerzeithäuser berühren. Menschen drängen sich in dem engen Foyer und halten Sektgläser in der Hand. Das Türkische Konservatorium feiert sein Zehnjähriges, selbst der türkische Generalkonsul ist gekommen. Halime Karademirli reicht fürsorglich heißen Kaffee an die durchnässten Gäste. In Netzstrümpfen und hochhackigen Schuhen schüttelt die Vertreterin traditioneller türkischer Musik unzählige Hände, nimmt Blumensträuße und Glückwünsche entgegen. Die Kulturstadträtin des Bezirks, Sigrid Klebba, spricht lobende Worte über Kulturaustausch und west-östliche Brückenschläge.
„Wir haben hier unseren Traum verwirklicht“, sagt Nuri Karademirli, Halimes Ehemann, Geschäftsführer und Dozent der Schule. Früher standen hier verfallene Garagen, bis 1998 die Karademirlis mit Maurerkelle und Farbeimern anrückten. „Die Musik ist meine Art, meine Kultur zu spüren und mich auszudrücken“, sagt er. Er spielt das lauteähnliche Instrument Baglama, seit er fünf Jahre alt ist.
Mit Anfang zwanzig kam das Ehepaar vor mehr als 40 Jahren nach Deutschland. Der ausgebildete Musiker Nuri sattelte um zum Elektroingenieur, seine Frau lernte Wirtschaftswesen. Gemeinsam gründeten sie zunächst eine Firma für Sensoren in Berlin. Doch der Traum vom eigenen Konservatorium war stärker. Zudem war türkische Musik in Berlin eine unbesetzte Nische. Karademirli erklärt: „Wir wollten zeigen, dass türkische Musik genau so viel wert ist wie die europäische.“ Das Paar löste die Firma auf und fing mit der Gründung des Konservatoriums ein neues Leben an.
Zur Feier des Tages bekommen die Gäste eine Führung durch die Schule. Die sieben Unterrichtsräume sind eingerichtet wie ganz normale Klassenzimmer. Doch in jedem Raum steht ein Klavier – an den Wänden hängen Bilder von Atatürk.
Einzelunterricht wird vor allem im Tonstudio gegeben, einem kleinen, mit allerlei Technik zugestellten Kabuff. An den Wänden hängen exotische Zupfinstrumente, wie Ud, Baglama und Tanbur. Hier ist sogar schon ein Teil der Filmmusik der Hollywood-Produktion „In 80 Tagen um die Welt“ aufgenommen worden.
Für Halime Karademirli ist das Konservatorium auch eine Art Integrationsinstrument. „Viele türkischstämmige Kinder haben das Gefühl, zwischen zwei Kulturen zu leben. Wir wollen ihnen mit der Musik eine Heimat geben“, sagt sie. Wichtig ist ihr auch, dass 20 Prozent ihrer Schüler nicht aus der Türkei, sondern aus Deutschland oder anderen Ländern kommen. „Die Musik ist unsere gemeinsame Sprache.“
Es gibt allerdings ein Problem, das die Euphorie über das Erreichte überschattet. „Bis jetzt verweigert man uns die staatliche Anerkennung“, sagt Nuri Karademirli und zieht die Augenbrauen hoch. Den Titel „Hochschule für Musik“ darf das Konservatorium nicht tragen. Der offizielle Grund: „Wir beschäftigen keine Angestellten, sondern nur Dozenten auf Honorarbasis. Feste Gehälter können wir uns nicht leisten,“ sagt Halime Karademirli. „Die türkische Kultur hat es in Berlin schwer.“
Die Musikhochschule läuft nur unter privater Finanzierung, etwa 3.120 Euro kostet ein Vollzeitstudium pro Jahr. Viel Geld, vor allem für begabte Kinder aus sozial schwächeren Familien. Meral Cihan hat zwar einen guten Job, mehr als ein Teilzeitstudium ist bei ihr aber trotzdem nicht drin. „Ein Stipendium kann ich ohne staatliche Anerkennung der Schule nicht beantragen“, sagt sie. Nur die Ausbildung zum Instrumentenbauer ist von der Handwerkskammer zertifiziert.
Im Oktober beginnt das Konservatorium in Kooperation mit Dozenten anderer Berliner Musikhochschulen ein neues Projekt: Die neue „Hochschule für Weltmusik“ soll dann alle Kriterien für eine staatliche Anerkennung erfüllen. Das Türkische Konservatorium soll als Teilfakultät darin aufgehen. Nuri Karademirli hat jetzt erst mal keine Zeit für Zukunftsmusik. Er ist in Eile, Meral Cihan wartet im Tonstudio auf ihre Unterrichtsstunde an der Tanbur.