: „Ausreisezentrum“ auf Platz zwei
betr.: „Ich-AG ist Unwort des Jahres“, taz vom 22. 1. 03
Schade, dass Sie den zweiten Platz des Unworts des Jahres unerwähnt lassen. Hat doch die Jury der sprachkritischen Aktion „Unwort des Jahres“ den Behördenterminus „Ausreisezentrum“ für Sammellager, aus denen abgewiesene Asylsuchende abgeschoben werden, massiv kritisiert. Denn, so die Jury: Dieses Wort soll offenbar Vorstellungen von freiwilliger Auswanderung oder gar Urlaubsreisen wecken. Es verdeckt damit auf zynische Weise einen Sachverhalt, der den Behörden wohl immer noch peinlich ist. Sonst hätte man eine ehrlichere Benennung gewählt.
Mit den in Niedersachsen, Rheinland-Pfalz, Sachsen-Anhalt und Bayern existierenden „Ausreisezentren“ sollen Flüchtlinge, die nicht abgeschoben werden können, zur freiwilligen Ausreise gezwungen werden. Deshalb setzen sie auf ein vielfältiges Bündel freiheitsbeschränkender Maßnahmen, darunter die Beschränkung der Bewegungsfreiheit der Insassen auf das Stadtgebiet, Leben hinter Gittern, regelmäßige Verhöre, Bewachung durch private Sicherheitsdienste, Botschaftsvorführungen, Entzug des Taschengeldes von monatlich 40 Euro nach Asylbewerberleistungsgesetz, striktes Arbeitsverbot, tägliche Ausgabe der Lebensmittelpakete zur Sicherstellung der regelmäßigen Anwesenheit, Zimmerdurchsuchungen, Meldepflichten und Anwesenheitskontrollen (vgl. z. B. das Konzept der bayerischen „Ausreisezentren“).
Die Wahl des Begriffs „Ausreisezentrum“ zu einem der Unworte des Jahres 2002 macht das Scheitern der Strategie der verantwortlichen Innenminister deutlich, der Öffentlichkeit vorzugaukeln, diese menschenunwürdigen und menschenrechtswidrigen Abschiebelager hätten etwas mit den Reisezentren der Bahn zu tun. So weist die Menschenrechtsorganisation zu Recht darauf hin, dass sie von Anfang an das Ziel verfolgte, den Euphemismus „Ausreisezentren“ zu entzaubern. Dass sie dabei von der „Unwort-Jury“ unerwartete Unterstützung erhält, zeigt, dass sich die Menschen in Deutschland anscheinend doch nicht so einfach von bewussten Täuschungsversuchen der Innenministerien blenden lassen, selbst wenn diese noch so gut eingefädelt sind.
ALEXANDER THAL, Gauting