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Archiv-Artikel

Weniger Euro-Stütze für deutschen Osten

Die Mittel aus EU-Strukturfonds fließen künftig nach Polen. Daher beginnt nun der Streit um Übergangsfristen

Thüringen, Sachsen und Sachsen-Anhalt liegen bald jenseits der Förderschwelle

BRÜSSEL taz ■ Auch nach dreieinhalb Jahren im Amt stolpert EU-Regionalkommissar Michel Barnier über Wörter wie „Mecklenbourg-Vorpommern“ oder „Brandenbourg“. Deutschlands strukturschwache Regionen, die fast sämtlich im Osten liegen, bereiten ihm Kopfzerbrechen. Denn nach 2006 werden sie wohl ihren Anspruch auf EU-Strukturhilfe verlieren. Deshalb betonte Barnier gestern wieder, als er den zweiten Zwischenbericht über den wirtschaftlichen und sozialen Zusammenhalt in Europa vorstellte, dass es für diese Regionen großzügige Übergangsfristen geben müsse.

Derzeit liegt in Portugal, Spanien, der italienische Stiefelspitze, Griechenland und Ostdeutschland das durchschnittliche Pro-Kopf-Einkommen unter 75 Prozent des Durchschnittseinkommens in der ganzen EU. Daraus resultiert ein Anspruch auf EU-Förderung. Nach der Erweiterung ändert sich dies: Portugal, Südspanien, Thüringen und Sachsen werden knapp, Nordspanien, Brandenburg und Sachsen-Anhalt deutlich über der 75-Prozent-Schwelle sein. Mit dem Brüsseler Geld werden bald die acht osteuropäischen Neumitglieder gefördert.

Kommissar Michel Barnier hat gemeinsam mit seinen für Landwirtschaft und Soziales zuständigen Kommissarkollegen Franz Fischler und Anna Diamantopoulou schon im Mai 2001 die Debatte darüber eröffnet, wie es mit den strukturschwachen Regionen weitergehen soll. Er will vermeiden, dass das Thema so lange verdrängt wird, bis die laufende Finanzperiode Ende 2006 ausläuft. Dann würde hinter verschlossenen Türen wieder das Gefeilsche losgehen. Am Ende würden nicht die Regionen profitieren, die es am nötigsten haben, sondern die, deren Staatschefs die besten Nerven im Politpoker mitbringen.

Barnier erinnerte gestern daran, dass das Wort „Solidarität“ in einem der ersten Artikel der neuen EU-Verfassung stehen soll. Die Nettozahler, allen voran Deutschland, wollen den Etat für die Fonds verkleinern und wieder mehr Förderung auf nationaler Ebene abwickeln. Das würde dem Ziel, die Lebensstandards in der Union einander anzunähern, widersprechen, meint Barnier.

Die Statistiken, die gestern vorgelegt wurden, sind nur eine Momentaufnahme. Niemand kann heute sagen, wie die soziale Lage in Europas strukturschwachen Regionen 2006 sein wird. Die Differenz zwischen armen und reichen Regionen wird aber ganz sicher größer. Der Abstand zwischen den 10 Prozent der EU-Bevölkerung in den reichsten Gebieten und den 10 Prozent, die in der ärmsten Gegenden wohnen, wird sich mehr als verdoppeln. In einem Europa der 25 werden 116 Millionen Menschen – etwa ein Viertel der Gesamtbevölkerung – in den ärmsten Regionen leben. 1999 haben die Regierungschefs sich darauf verständigt, maximal 0,45 Prozent des Bruttoinlandsprodukts der Union für die Förderung armer Regionen zu verwenden. Bisher sind es 0,32 Prozent. Im Dezember beim Gipfel in Kopenhagen setzten sich die Nettozahler mit ihren Sparwünschen durch: Nur 0,41 Prozent des BIP sollen ab 2007 für EU-Strukturpolitik ausgegeben werden.

Barnier will aber erreichen, dass die Regierungen 0,45 Prozent des Inlandsprodukts umverteilen. Dann wären großzügige Übergangsfristen zum Beispiel für Deutschlands neue Bundesländer finanziell machbar. Ein solches „privilegiertes Phasing-out“ fordert auch der deutsche CDU-Abgeordnete Rolf Berend im Europaparlament. 1999 bis 2006 fließen 20 Milliarden Euro aus Brüssel in die neuen Länder. Sollte Deutschland für die kommende Finanzperiode immerhin noch 14 Milliarden Euro heraushandeln können, „wäre das für uns ein Erfolg“.

DANIELA WEINGÄRTNER