: Eiersuche am Tropenstrand
Ob Schildkrötenbabysitter oder Buckelwalfotograf: „Ecovolunteering“ ist Urlaub mit Anspruch. Wer mitfährt, packt an und zahlt noch dafür – und bekommt einmalige Naturerlebnisse geboten
von HELENE HINRICHSEN
Etwas unsicher steht Christine im noch kühlen Sand und deutet auf eine Stelle: „Hier?“ Juarez schüttelt den Kopf und erklärt: „Dahinten ist sie aus dem Wasser gekommen, das sieht man deutlich an den Spuren. Dort, wo alles aufgewühlt ist, hat sie ihr ‚Bett‘ gemacht – also müssen wir genau da suchen“ – und stößt einen Holzstab tief in den Sand. „Sie“ ist eine Schildkröte, und es gilt an diesem frühen Morgen am menschenleeren Strand von Comboios ihr Gelege zu finden.
Juarez behält Recht: Nach kurzem Graben trifft der Biologe auf die Höhle mit über 100 Eiern, weiß und rund wie Pingpongbälle. Das Tier – vermutlich eine Unechte Karettschildkröte – hat sehr dicht am Ufer gelegt, es besteht die Gefahr, dass Hochwasser das Nest zerstört. Deshalb beschließt Juarez, es einige Meter weiter an eine sichere Stelle zu verlegen. Schildkröten kümmern sich nicht um ihren Nachwuchs, sie lassen die Jungen von der Sonne ausbrüten. Nach rund 60 Tagen schlüpfen die zappeligen Winzlinge, buddeln sich aus dem Sand und streben mit sicherem Instinkt dem Meer zu, schon auf dem ersten Weg ihres Lebens bedroht von gefräßigen Krebsen, Vögeln und Hunden.
155 Eier ausgraben, in eine Styroporkiste legen, ein 50 Zentimeter tiefes Loch graben und die weichen Bälle vorsichtig hineingleiten lassen – Alltag für die Biologen des „Tamar“-Projekts, ein Abenteuer für die 47-jährige Christine aus Hamburg. 14 Tage lang begleitet sie die Arbeit der Schildkrötenschutzstation Comboios im brasilianischen Bundesstaat Espírito Santo: als „ecovolunteer“, freiwillige Helferin.
Gegen eine Teilnahmegebühr von rund 700 Euro wohnt Christine mit drei brasilianischen Praktikantinnen in einem schlichten Holzhaus und steht wie die gesamte Station früh um halb sechs auf. Schildkröten legen nur nachts – deshalb wird der 37 Kilometer lange Strand mit einem klapprigen Jeep jeden Morgen gleich nach Sonnenaufgang abgesucht. Jedes Nest erhält eine Nummer und wird mit Holzlatten markiert. Zwei Monate später sind die „Tamar“-Leute wieder zur Stelle und sorgen dafür, dass die Mini-Reptilien sicher ins Meer gelangen.
Das „Tamar“-Projekt ist in Brasilien mittlerweile eine anerkannte Umweltorganisation, die sich seit 21 Jahren für Schildkröten engagiert. Dennoch sind die Mittel knapp – jede zusätzliche Summe ist willkommen. Nicht anders geht es dem „Projeto Baleia Jubarte“ (Buckelwalprojekt) rund 250 Kilometer weiter nördlich, das gern freiwillige Helfer mit auf Beobachtungstour nimmt. So wie den 36-jährigen Mogens aus Niebüll, der an Bord der „Tomara“ Ausschau nach den Meeresriesen hält.
Zwischen Juli und November fahren die Walforscher jede Woche für mehrere Tage aufs Meer ins Gebiet des Abrolhos-Archipels. Etwa 1600 Buckelwale ziehen pro Jahr aus der Antarktis hierher, um in den flachen und warmen Gewässern ihre Jungen zu bekommen. Ziel der Touren ist in erster Linie, die unverwechselbaren schwarz-weiß gemusterten Fluken zu fotografieren. Anhand einer Bilddatenbank lässt sich dann später feststellen, welche Tiere schon einmal hier waren. Von einigen Walen nehmen die Projekt-Mitarbeiter Gewebeproben, von anderen machen sie Aufnahmen ihrer wunderbar-fremdartigen Gesänge.
Fast immer sind Gäste aus dem In- und Ausland dabei. Menschen unterschiedlicher Berufe und Altersgruppen, die sich für den Naturschutz engagieren, das Land anders kennen lernen wollen oder einfach nur Wale lieben. Oder, wie Mogens es ausdrückt: „Ich will etwas tun, etwas lernen, etwas erleben, nicht einfach einen stinknormalen Urlaub machen.“ Die Erfahrungen auf der „Tomara“ sind ihm die Teilnahmekosten von 1370 Euro wert.
„Ecovolunteering“ ist eine in Deutschland eher unbekannte Art von Urlaub, die einige wenige Anbieter organisieren (siehe Kasten). Preise und Reisebedingungen variieren, das Prinzip ist gleich: Wer mitfährt, packt an und zahlt noch dafür – und bekommt mit Sicherheit einmalige Naturerlebnisse geboten. Das Dortmunder Unternehmen One World – Reisen mit Sinnen, das seit drei Jahren Aufenthalte bei Tierforschungsprojekten vermittelt (und auch das komplette Programm der holländischen Organisation Ecovolunteer anbietet), hat bislang knapp 100 Kunden in alle Welt geschickt – Menschen zwischen 30 und 55 Jahren und zu zwei Drittel Frauen. Die meisten interessieren sich für Wölfe, Wale und Wildpferde.
Matthias Hammer, Gründer von Biosphere Expeditions, einem gemeinnützigen Verein mit Büros in England und Reutlingen, hat ähnliche Erfahrungen mit seinen bisher gut 150 Kunden gemacht: „Unser Gepardenprojekt in Namibia geht weg wie warme Semmeln, gleich danach kommt die Amazonas-Expedition.“ Eine Reise anzubieten, bei der es etwa um Termiten geht, fände der Biologe persönlich höchst interessant – dass es auf viel Gegenliebe stoßen würde, glaubt er allerdings nicht.