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Archiv-Artikel

„Jeden Tag die ideale Mischung“

Carlo Ingelfinger, Leiter der taz-Schwerpunktredaktion, über Dossiers, dröge Themen und Durchsetzungsvermögen

taz: Herr Ingelfinger, man liest nie Ihren Namen in der taz. Nicht alle Leser werden wissen, dass Sie in der Redaktion als Doyen und als Macher wirken.

Carlo Ingelfinger: Interessant, dass man in einem gewissen Alter offenbar alt genug ist, um als Doyen, und jung genug, um als Macher zu gelten. Aber im Ernst: Ich bin lang genug dabei, um ein bisschen Erfahrung mit den Vorgängen außerhalb der Redaktionstüren und den Kräfteverhältnissen und Möglichkeiten innerhalb des Hauses zu haben.

Vielen Lesern unvergessen ist Ihre Idee, eine Titelseite leer zu lassen und „Bushs historische Rede“ drüberzuschreiben.

Danke. Aber meine Idee bezog sich zunächst einmal nur auf eine leere Seite 3 mit dieser Überschrift. Dass die Titelseite daraus wurde, ist dem Drängen anderer zu danken. Und das erst hat dann wirklich Durchschlagskraft gezeigt.

Sie sind der Leiter des Schwerpunktpools. Was muss man sich darunter vorstellen?

Die taz hat das Konzept, ab der Seite 3 drei oder mehr Seiten jeweils einem Thema zu widmen und so jeden Tag deutliche Akzente zu setzen. Das können Themen sein, die uns die aktuelle politische Entwicklung einfach aufzwingt, Themen, die uns am Herzen liegen, oder einfach völlig ausgefallene, überraschende Themen. Wir bemühen uns, die Genres zu mischen.

Wie sieht das aus?

Wir machen an einem Tag zum Beispiel ein aktuelles politisches Thema; mit mehreren kürzeren Texten auf einer Seite. Das nennen wir „Brennpunkt“. Dann einen hintergründigen „Report“ oder eine Reportage zu einem Thema, das wir ganz bewusst setzen wollen. Dann noch ein Gespräch mit einem Regisseur und vielleicht noch ein „dröges Thema“. Das ist eine Seite, die eine Sache ironisiert, die zum Beispiel die Boulevardpresse beherrscht.

Das wäre dann eine gute Mischung?

Ja. Die gelingt uns im Alltag leider nicht immer. Mein Job ist es, die Themen zusammen mit den Ressorts vorzuplanen, zu koordinieren, tagesaktuell in der Diskussion mit RessortleiterInnen und Chefredaktion auch mal neu zu mischen und schließlich mit den Kolleginnen und Kollegen des Schwerpunktressorts die Seiten zu betreuen.

Am vergangenen Samstag hat die taz wieder ein Dossier aufgelegt: Fünf Seiten zum Irakkonflikt. Und eine besondere Titelseite: „Krieg oder Frieden?“

Die Idee ist: Zum beherrschenden Thema der vergangenen und der nächsten Monate gebündelt Informationen anbieten. Das Dossier „Krieg oder Frieden?“ ergänzte die Seiten, die vorher erschienen sind. Es wird, mit den Berichten über die Stimmung in den Vereinigten Staaten, dem Porträt Saddam Husseins und einer Frage-und-Antwort-Seite zu Krieg, Kriegsgefahr und Folgen gewiss einige Zeit aktuell bleiben.

Im vergangenen Jahr gab unter anderem folgende taz-Dossiers: 60. Geburtstag des Boxers Muhammed Ali, Internationaler Frauentag, Saisonstart der Fußball-Bundesliga und eine ganze Ausgabe zum Jahrestag des 11. Septembers. Achten Sie besonders auf Themenvielfalt?

Da haben wir gelernt in den letzten Jahren. Grundsätzlich war die taz, glaube ich, immer gut in der schnellen Reaktion auf wichtige Ereignisse. Nehmen Sie das Massaker auf dem Tiananmen-Platz 1989 in Peking oder den Kosovokrieg 1998. Da werden alle Kräfte angespannt, alle Ressortinteressen hintangestellt, und ein Großteil der Redaktion und der Korrespondenten arbeitet – auch über längere Zeit – nur an dem einen Thema. Das ist nicht nur eine journalistische Reaktion, da spielt oft auch – das sind jetzt große Worte – das Gefühl einer moralischen oder gesellschaftlichen Verpflichtung mit, einer Verpflichtung auch gegenüber den Leserinnen und Lesern.

Geburtstags- oder Fußball-Specials gab es früher nicht.

Ja. Die taz hat sich früher eher schwer getan mit so genannten Pflichtdaten, Jubiläen und der konzeptionellen Vorbereitung darauf. Da tun wir uns jetzt leichter. Das hat auch mit personellen Veränderungen im Haus zu tun. Und mit dem im Jahr 2000 eingeführten Schwerpunktkonzept, das die Umsetzung solcher Dossiers erheblich erleichtert. Bei mancher Themensetzung spielen natürlich auch die ganz persönlichen Interessen der Autorin oder des Autors, der Redakteurin oder des Redakteurs und ihre Durchsetzungsfähigkeit eine Rolle.

War die taz die Erfinderin dieses Dossier-Konzepts?

Das halte ich für völlig ausgeschlossen.

Nach den Terroranschlägen am 11. September auf New York und Washington haben Sie wochenlang täglich große Dossiers gemacht. Wird das auch so sein, wenn US-Präsident George W. Bush den Irak angreift?

Sicher. „Krieg gegen den Terror“ werden wir aber sicherlich nicht drüberschreiben.

In Kriegszeiten ist die taz besonders gefragt. Sie verkauft an manchen Tagen an den Kiosken bis zu 50 Prozent mehr. Manche nennen sie deshalb einen Kriegsgewinnler.

Klar: Berichte, Einschätzungen, Hintergründe und Meinungen sind in Kriegstagen gefragter als in ruhigen Zeiten – sei es zur Urteilsbildung, zur Bestätigung eigener Vorurteile oder als Vorwurf zu Streit und Diskussion. Auch die Emotionen sind ja zu solchen Zeiten bei weitem heftiger. An dem Begriff „Kriegsgewinnler“ sehe ich in diesem Zusammenhang also nichts Anrüchiges. Eine Auflagensteigerung ohne Krieg wäre mir allerdings wesentlich lieber.

Warum ist eigentlich von Ihnen nie etwas namentlich Gekennzeichnetes zu lesen?

Weil ich die Erfahrung habe: Andere können besser schreiben.