: Schöne Piepmaus-Snapshots
Sehr gut, wenn das Kurzzeitgedächnis mal aussetzt. Und noch viel besser, um einmal im Leben auch so aussehen zu können wie Pete Townshend: Das Foto-Handy im ultimativen Geheimagentinnen-Test
von JENNI ZYLKA
Als Geheimagentin ist so etwas unglaublich praktisch. Zum Beispiel, wenn man sich gerade in großer Garderobe auf einen Diplomatenball geschmuggelt hat. Man gibt vor, das Bad zu suchen, schleicht sich dabei ins Büro, knackt den Tresor, findet die geheimen Unterlagen über die doch vorhandenen Massenvernichtungswaffen und das Projekt „XX Radial Matrix“, und – bingo. Also klick. Da kommt so ein High-Tech-Gadget gerade recht.
Aber trotz intensivster Bemühungen wurde ich in den zwei Wochen, in denen ich das Fotohandy testen durfte, zu keinem Diplomatenball eingeladen. Auch verbrachte ich keine Nachmittage mit einer Inkognito-Prinzessin, die ich unter dem Vorwand, nur mal telefonieren zu wollen, bei verbotenen Handlungen fotografieren konnte.
Stattdessen fing ich an, die Welt rund um mich herum zu dokumentieren. Ich fotografierte die Zugverspätung der verdammten U-Bahn, damit meine wartenden Freunde nicht erzürnt sind. Meine Lieblingsschokolade, bevor ich sie ganz aufaß. Die dufte Karnevalsmaske, die ich beim Bierkaufen im Supermarkt gefunden habe, damit die anderen mitlachen können. Und jeden, der mir tags und nachts vor das Miniobjektiv lief: das Kind (die wachsen ja so schnell!); die Künstlerin (so ein schummriges, großpixeliges Foto ist ja irgendwie auch Kunst!); einen hergelaufenen Beatnik (nur um zu gucken, wie es mit den Helligkeitsverhältnissen untertage aussieht); meine rothaarige Freundin (um die Farbwiedergabe zu testen). Als ich eines Abends einen neu eröffneten Club besuchte und feststellen musste, dass die (natürlich männlichen, weiblichen würde so etwas nie passieren) Veranstalter als Sanitäranlagen zwei Dixie-Toiletten vorgeschlagen hatten, machte ich einen Spaziergang in die nahe gelegene Touristenfalle und brachte das Klofoto triumphierend meinen blasenschwachen Freundinnen mit. Später am Abend hatte ich einen Black-out, und dank der praktischen Erinnerungsstütze konnte ich am nächsten Tag anhand der Fotos und der dazugehörigen Datums- und Uhrzeitangaben rekapitulieren, wo ich mit wem gewesen war: Offensichtlich saß ich um vier Uhr nachts in einer Bar und schäkerte mit einem Plastikstrauß. Bei der Pressekonferenz zum neuen Spielberg-Film stießen das Fotohandy und ich allerdings an unsere Grenzen. Di Caprio wird, reizend und leider zu weit entfernt, wie er war, eher in meinem Herzen bleiben als im Handyspeicher. Dafür habe ich den Silke-Bischof-Zopf der Piepmaus in der Reihe vor mir hervorragend getroffen.
Allerdings kann man die vielen, beim Knipsen mit sympathisch-altmodischem Klickgeräusch unterlegten Bilder nicht mal eben schnell seinem Freund in den Bus oder irgendjemandem nach Übersee schicken. Denn so ein verdammtes Fotohandy hat einfach niemand. Viel zu teuer. Menschen, die fotografieren wollen oder müssen, nehmen Kameras mit. Menschen, die telefonieren wollen oder müssen, sprechen in ihre Mobilknochen. Nur ein einziger Mann in meinem Bekanntenkreis hat sich neulich so ein Ding gekauft, allerdings ein anderes Fabrikat und ein anderer Anbieter, und darum wären meine Bilder, selbst wenn ich den ganzen Beim-Server-anmelden-Geld-bezahlen-schwierige-Nummern-eingeben-Stress überstanden hätte, bei ihm nicht angekommen. Wäre ohnehin wieder zu teuer, zwischen 39 und 99 Cent kostet ein verschicktes Bild. Man schleppt die chronologischen Farbbilddokumente also mit sich herum, und wenn jemand kommt, zückt man das Gerät und zeigt (in Klein und schlecht) auf dem Minidisplay, was in der eigenen Welt (in Groß und echt) so passiert ist. Oder man überträgt die dürftig aufgelösten Bildchen zu Hause per Infrarot (wenn man das hat) auf seinen Computer und mailt sie durch die Gegend. Die Größe und Kleinheit des Objektivs und des Speichers verhindern jedoch realistische Vorstellungen – alle sehen aus wie Pete Townshend.
In den aufregenden zwei Wochen mit Fotohandy habe ich mich bei 19-Zoll-Gesprächen, auch bekannt als Benzingespräche oder Technobubble, ertappt. Ich fachsimpelte über Tiefenschärfe des Displays und darüber, ob ein aufschiebbares Handy einen nicht komplett lahm legt – so ein Ding sollte einhändig zu bedienen sein, schließlich muss man mit der anderen Hand lenken. Plötzlich las ich Computerzeitungen, in denen Handys mit Digitalkamera getestet wurden, und aufgeregt verglich ich die Angaben: Wieso hat meins keinen Rundspiegel für das Selbstporträt? Was und wo ist ein Zweifachzoom?
Trotzdem: Irgendwie hat es ja Spaß gemacht, alles, was ich sehe, sofort festzuhalten – die Momentidee, die in jedem Schnappschuss steckt, lebt auch im Fotohandyshot. Und wenn Handys und Foto-Shortmessage-Versand irgendwann billiger werden, wird sie jeder benutzen. So ist es mit Luxus, ob Auto, Anrufbeantworter oder SMS: Er bedingt sich immer selbst. Die nahe Umgebung lässt sich mit einem Fotohandy einen Moment länger festhalten. Und wenn man wie Guy Pearce in „Memento“ an einem fiesen Kurzzeitgedächtnisschaden leidet, kann man sogar auf die Tattoos verzichten.